"Abbitte": Kammerspiel der Herzen

Ian McEwans Erfolgsroman ist als Leinwandversion mit Keira Knightley großes Gefühlskino - mit Schönheitsfehlern.

Düsseldorf. Die Welt aus der Sicht eines Kindes zu sehen, heißt es zumindest bisweilen, soll Leben retten können. Es kann aber auch das genaue Gegenteil bewirken.

Brione (Saoirse Ronan), gerade zum Teenager gereift, hat ihre eigene Art, die Umwelt für sich zu erschließen. Als Spross der gepflegten Langeweile, mit der die englische Upper-Class in den 1930er-Jahren auf ihren herrschaftlichen Landsitzen das Vermögen der Väter und Vätersväter verwaltet, fantasiert sie in die elegisch vor sich hinvegetierenden Teegesellschaften zwischenmenschliche Spannungen.

Mit ihren kindlichen Schlussfolgerungen allein gelassen, missdeutet sie das Liebesgeplänkel ihrer älteren Schwester Cecilia (Keira Knightley) mit Bedienstetensohn Robbie (James McAvoy) und bezichtigt den jungen Mann des sexuellen Missbrauchs. Der standesbewussten Mutter kommt die Aussage recht. Sie zeigt Robbie an. Für ihn und Cecilia bricht eine Welt zusammen.

Um der vollen Gefängnisstrafe zu entgehen, heuert er nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beim Heer an. Trotz seiner Stationierung in Nordfrankreich bleiben er und Cecilia in regelmäßigem Briefkontakt. Derweil versucht Brione, mittlerweile volljährig, sich von ihrem folgenschweren Fehler reinzuwaschen.

Wie auch die literarische Vorlage von Ian McEwan teilt sich die Handlung von "Abbitte" in zwei Einheiten. Regisseur Joe Wright inszeniert den ersten Abschnitt als Kammerspiel, das vom gediegenen Gesellschaftsporträt unmerklich in die Strukturen eines Kriminaldramas gleitet. Cecilia und Robbie bekennen sich aufgrund ihrer Klassenunterschiede nicht zum offenen Dialog. Ihre verstohlenen Blicke schildert Wright sowohl aus dem verhängnisvollen Blickwinkel der neunmalklugen Brione als auch aus einer übergeordneten Erzählsicht.

Nach und nach überlagert er diese beiden Ebenen, die zunächst wie durch ein Kaleidoskop zersplittert wirken, zu einem stimmigen Sittengemälde. Inmitten der mondänen Apathie britischer Borniertheit erliegen Cecilia und Robbie dem fatalen Irrtum, zu ihren Gefühlen nicht stehen zu müssen, um glücklich werden zu können. Dieses passive Treibenlassen legt ihr Schicksal in die Hände einer anmaßenden Heranwachsenden und ihrer ausufernden Fantasien.

Als sie begreifen, worauf es ankommt, ist es zu spät. Der Krieg hat das Paar entzweit. Scheinbar teilnahmslos, in Wirklichkeit aber liebestrunken, taumelt Rekrut Robbie durchs Feld. Massengräber und Kinderleichen dringen nicht mehr zu ihm vor, zu tief sitzt der Trennungsschmerz. Cecilia, die in London als Lazarettschwester arbeitet, hofft auf seine Rückkehr, verliert aber mit jedem Toten, über den sie das Leintuch ausbreitet, den Glauben daran.

So virtuos Wright die erste Hälfte des kraftvollen Bilderreigens gelingt, so bemüht wirkt dieser zweite Teil. Bedeutungsschwangere Kamerafahrten und aufdringliche Regieideen verleihen der Szenerie eine streckenweise unangemessene Kulissenhaftigkeit. Diese Versessenheit, einen großen Wurf zu landen, gipfelt in einer 15-minütigem, offenbar schnittlosen Kamerafahrt, in deren Verlauf der erschöpfte Robbie den Wahnsinn des Krieges konzentriert am Strand von Dünkirchen erlebt.

Geboren 21. Juni 1948 als Sohn eines Berufssoldaten in Aldershot, aufgewachsen u.a. in Singapur und Libyen.

Ausbildung Studium der englischen und französischen Philologie an der Universität Brighton/Sussex.