"Gefahr und Begierde": Verhängnisvolle Affäre als Stellungskrieg

Ang Lee erzählt in „Gefahr und Begierde“ von obsessiver Liebe und politischem Widerstand.

Düsseldorf. Es sind nicht die großen Gesten, an denen Film-Regisseur Ang Lee interessiert ist. Es sind eher die instinktiven Zwischenregungen, mit denen er seine ansonsten kontrollierten Figuren zum Leben erweckt. Der gebürtige Taiwanese sucht in allen Genres nach diesen raren Momenten emotionaler Sollbruchstellen: im Western, wenn Heath Ledger in "Brokeback Mountain" noch einmal das Aroma des Jeanshemdes seines Liebhabers einatmet. Im Gesellschaftsdrama, wenn Sigourney Weaver in "Der Eissturm" versucht, ihre Trauer um ihren verstorbenen Sohn zu unterdrücken. Selbst im viktorianischen Kostümfilm, wenn Emma Thompson in "Sinn und Sinnlichkeit" in Gegenwart ihres Schwarms Hugh Grant die Selbstbeherrschung verliert. Überall bricht Lee Fassaden auf.

So ist der Triumph seines aktuellen Werks "Gefahr und Begierde" bei den Filmfestspielen von Venedig bereits als Würdigung seines Gesamtwerks zu verstehen. Filmisch lässt sich zwar der Perfektion von "Brokeback Mountain", mit dem er vor zwei Jahren ebenfalls am Lido den Hauptpreis erhielt, nichts mehr hinzufügen. Dass er allerdings weiter auf hohem Niveau nach menschlichen Regungen in einer von vermeintlichen Pflichten unterminierten Gesellschaft gräbt, ist mit Sicherheit preiswürdig.

Als Kulisse seines Planspiels dient der japanisch-chinesische Krieg Ende der 30er Jahre. In Hongkong schließt sich die junge Wang Jiazhi (Tang Wei) einem Studententheater an, das mit propagandistischen Lehrstücken den Patriotismus der chinesischen Bevölkerung wach hält. Dank ihrer Überzeugungskraft wird Wang zum Star des Ensembles. Deren Leiter Kuang Yu Min (Wang Leehom) überredet sie daraufhin, eine Rolle in einem Mordkomplott zu übernehmen.

Im Visier haben die Widerstandskämpfer Herrn Yi (Tony Leung), einen hohen chinesischen Beamten, der mit den Besatzern kollaboriert. Wang soll ihn mit ihren Reizen aus seiner Schutzsphäre locken. Doch der Plan schlägt fehl. Die Studenten müssen untertauchen. Zwei Jahre später versuchen sie es noch einmal, diesmal in Shanghai. Die Verführung gelingt. Allerdings entwickelt sich zwischen Wang und Yi eine obsessive Beziehung, die Wangs Solidarität mit dem Widerstand in Frage stellt.

Lee bebildert diese verhängnisvolle Affäre als expliziten Stellungskrieg, in dessen bebender Besinnungslosigkeit sich die Hauptfiguren ohne Rückhalt verlieren. Physische Lust wandelt sich in blindes Vertrauen, das einer der beiden überraschenderweise bestätigen, der andere jäh enttäuschen wird. Wenn es so weit ist, wenn die Masken kurz fallen, ist Lee wieder zur Stelle und fängt den Moment ein wie in einem Gemälde. Man möchte es ewig betrachten. Allerdings ist im Film, selbst bei Ang Lee, der Augenblick leider flüchtig.

Wertung: Fünf von fünf Punkten