Filmfestival Berlinale-Eindrücke: Wie geht's dem deutschen Film?

Berlin (dpa) - Ein Joker kommt noch. Als letzter Bären-Kandidat geht am Freitag bei der Berlinale der Spielfilm „In den Gängen“ an den Start - ein Beitrag, der das Feld vielleicht noch aufmischen könnte.

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Regisseur Thomas Stuber („Herbert“) erzählt in dem berührenden Drama von zwei Wende-Verlierern, die in den seelenlosen Gängen eines Großmarkts um ein kleines Stück Glück kämpfen. Am Buch war erneut Schriftsteller Clemens Meyer beteiligt.

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Doch die Berlinale ist ja längst nicht nur Bären-Fieber. Auch jenseits des Wettbewerbs gibt sie einen Einblick in die Befindlichkeiten des deutschen Films. Auf wenig strahlende 24 Prozent hat sich der Marktanteil heimischer Produktionen im vergangenen Jahr eingependelt - und das ist vor allem Blockbustern wie „Fack ju Göhte“ und „Bullyparade“ zuzuschreiben.

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Aber was passiert im Schatten der Publikumsrenner? Er vermisse „wilde und sperrige Filme“, hatte der diesjährige Jurychef Tom Tykwer („Lola rennt“) vor Festivalbeginn erklärt. In Deutschland ist daran nach Kritikermeinung paradoxerweise auch die Filmförderung schuld.

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Vor jeder Produktion eines Films steht der Hindernislauf durch die unterschiedlichsten Förderinstitutionen, oft sind auch die öffentlich-rechtlichen Sender mit ihren Ansprüchen an TV-Format beteiligt. Da können Ecken und Kanten leicht verloren gehen.

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Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“) etwa hat mit seinem DDR-Drama „Das verschwiegene Klassenzimmer“ bei der Berlinale viel Beifall eingeheimst. Er inszeniert diese wahre Geschichte um eine Schulklasse, die wegen einer harmlosen Schweigeminute im SED-Regime vom Abitur ausgeschlossen wird, dicht, bedrückend - aber eben auch ein bisschen bieder. „Warum sind die alle so gut geföhnt?“, fragt der Kolumnist des Berliner „Tagesspiegel“ mit einem augenzwinkernden Hinweis auf das mitbeteiligte ZDF.

Berlinale-Stammgast Christian Petzold („Barbara“) sucht in seinem Flüchtlingsdrama „Transit“ bewusst einen anderen Weg. Auf Grundlage des gleichnamigen Romans von Anna Seghers verschränkt er kunstvoll die Geschichte von Exilsuchenden in der NS-Zeit mit dem Schicksal von Migranten heute.

Viele Kritiker handeln Petzold damit als heißen Anwärter auf den goldenen Bären für den besten Film. Andere sehen gerade diese Verschränkung als vielleicht nicht ganz überzeugend und hätten sich noch ein zweites deutsches Flüchtlingsdrama im Wettbewerb gewünscht. Stattdessen lief „Styx“, ein bedrückender, stiller Film von Wolfgang Fischer über das tägliche Sterben auf dem Mittelmeer, in der Reihe Panorama Special.

Den bislang radikalsten deutschen Beitrag schickte Philip Gröning in den Wettbewerb. „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ erzählt verstörend von der Hassliebe eines Zwillingspaares, die in einer Katastrophe endet. Jahrelang hat der als Perfektionist bekannte Regisseur („Die große Stille“) an dem Psychodrama gearbeitet, mindestens 2000 Schauspieler gecastet und für die richtige Kulisse mehrere Hektar einer besonderen Getreidesorte angebaut.

Und dennoch: Wenn es nicht Kunst wäre, könnte man das dreistündige Philosophieren über die Zeit auch für betrunkenes Geschwurbel halten und die Gewaltexplosion am Ende für blutige Effekthascherei. Am Schluss Begeisterung und Buhrufe. „Das Kino muss wieder viel mehr als Erfahrungsraum funktionieren“, sagt der Regisseur, „auch indem es sich traut, Dinge zu zeigen, die man eigentlich gar nicht sehen möchte.“

Unumstritten ist dagegen der Befund, dass Deutschland derzeit wirklich grandiose Schauspieler zu bieten hat. Marie Bäumer (48) sorgt als Romy Schneider in Emily Atefs Porträt „3 Tage in Quiberon“ für Furore - und kann im Wettbewerb mit einer Isabelle Huppert als Edelhure „Eva“ locker mithalten.

Und Franz Rogowski, der zu den europäischen Shooting Stars des Festivals gehört, gibt zunächst Christian Petzolds „Transit“-Figur eine schier unglaubliche Intensität. Zum Abschluss am Freitag ist er dann mit Sandra Hüller als schweigsamer Lagerarbeiter „In den Gängen“ zu sehen.

Der 32-jährige mit markantem Gesicht und Sprachfehler gleicht nicht nur dem ebenfalls hochgelobten Hollywoodstar Joaquin Phoenix, der in „Don't worry, er kommt nicht weit“ einen querschnittsgelähmten Alkoholiker spielt - er könnte sich mit ihm auch beim Schauspiel-Bären ein Fotofinish liefern. Also: Spannend bis zum Schluss. Am Samstag werden die Preise vergeben.