Filmfestival Halbzeit im Berlinale-Wettbewerb

Berlin (dpa) - 69 Menschen hat der Rechtsextremist Anders Breivik auf der norwegischen Insel Utøya kaltblütig ermordet. Die meisten von ihnen waren Jugendliche, kaum begonnene Leben. Kann man daraus einen Spielfilm machen?

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Geht nicht der Horror über das hinaus, was Kino kann - vielleicht auch: was Kino darf?

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Regisseur Erik Poppe („The King's Choice“) ist der erste, der den Schritt wagt. Am Montag stellte der 57-jährige Norweger bei der Berlinale seinen Film „Utøya 22. Juli“ vor. In einer einzigen, 72 Minuten langen Einstellung lässt er das unfassbare Grauen noch einmal lebendig werden - vom ersten Schuss des schwerbewaffneten Attentäters irgendwo im Wald bis zum Ende des Gemetzels, als endlich die Polizei kommt. Auch in Wirklichkeit hat es 72 Minuten gedauert.

„Im Europa dieser Tage nimmt der Neofaschismus tagtäglich zu. Deshalb müssen wir uns erinnern, müssen zeigen, wozu Rechtsextremisten fähig sind“, sagte Poppe bei der Vorstellung seines Films. Das Drama habe Norwegen in den Grundfesten erschüttert. Er hoffe, dass er damit zum „Heilungsprozess“ beitragen könne.

Konsequent erzählt der Filmemacher die Geschehnisse aus der Sicht der Opfer, radikal, schonungslos, kaum erträglich. Der Zuschauer ist fast eins mit Hauptfigur Kaja: Wie sie mit den 500 anderen Jugendlichen verzweifelt aus dem Sommercamp flieht. Wie sie Schuss um Schuss um Schuss Freunde zurücklassen muss, über Tote stolpert. Wie ein Mädchen mit zerfetztem Rücken in ihren Armen stirbt. Und wie sie bis zum Schluss buchstäblich todesmutig nach ihrer jüngeren Schwester Emilie sucht.

Andrea Berntzen spielt diese 19-Jährige mit einer schier unglaublichen Intensität. Monatelang haben sie Szenen für Szene geprobt, um sie schließlich auf der Insel in einem atemberaubenden Stück durchziehen zu können. Fünf Drehtage gab es, fünf Versuche. „Man schickt die Leute in die Hölle, und in der bleiben sie 72 Minuten lang drin“, sagte Regisseur Poppe.

Bewusst habe er sich entschieden, die wahren Geschichten der Jugendlichen in einem fiktiven Schicksal zu bündeln. „Ich wollte nicht, dass die Angehörigen fragen müssen: Ist das mein Sohn? Mein Bruder? Mein Kind?“ Drei Überlebende haben die Entwicklung des Projekts von Anfang begleitet, Hinterbliebene konnten den Film sehen, ehe er endgültig fertig war.

„Er ist ehrlich und auf eine Art gewalttätig und brutal“, sagte die Vorsitzende der norwegischen Opfer-Selbsthilfegruppe, Lisbeth Kristine Ryneland, der Deutschen Presse-Agentur in Oslo. „Aber in jedem Fall nicht brutaler als das, was ich im Kopf habe.“

Und trotzdem bleibt die Frage: Darf Kino so weit gehen? Vielleicht muss das jeder Besucher für sich selbst entscheiden. „Wir wollen keinen Medienhype“, sagt Produzent Stein B. Kvae. In jedem Fall hätte man dem Film gewünscht, nicht im Wettbewerb zu laufen, sondern außer Konkurrenz. Er entzieht sich einer Beurteilung nach normalen Kriterien.

Eine Gratwanderung ganz anderer Art wagt die in Berlin lebende Regisseurin Emily Atef mit „3 Tage in Quiberon“, einem Porträt der späten Romy Schneider, das ebenfalls ins Bären-Rennen geht. Grundlage des Films ist das legendäre „Stern“-Interview von 1981, in dem sich der europaweit gefeierte Star schonungslos offen zum Scheitern seines Lebens bekennt. „Ich bin eine unglückliche Frau von 42 Jahren und heiße Romy Schneider“, sagte sie dem zynischen Journalisten aufs Band.

Hauptdarstellerin Marie Bäumer („Der alte Affe Angst“) hat nicht nur eine frappierende Ähnlichkeit mit Romy Schneider - in diesem Film ist sie Romy Schneider. Flaschenweise schüttet sie in der mondänen Entzugsklink am Meer den Wein in sich hinein und schiebt die Tabletten hinterher, ist himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

„Ich bin nicht Sissi, das hat nichts mit mir zu tun“, sagt sie immer wieder zu der Rolle der österreichischen Kaiserin, die sie viel zu früh groß und später kaputt gemacht hat. So entstehen in dem Schwarz-Weiß-Film nach und nach wieder die berühmten Fotos, die Robert Lebeck bei dem Interview schoss und die das Bild von Romy Schneider weltweit prägten. Sie starb ein Jahr später in Paris. Ihr Herz blieb stehen.