Berlinale startet furios-elegant
Wong Kar Wai eröffnet das Festival mit fernöstlicher Kampfkunst in „The Grandmaster“.
Berlin. Der Präsident der Berlinale-Jury, Wong Kar Wai (54), will nicht allzu streng mit den Filmen des Wettbewerbs umgehen. „Wir sind hier, um Filmen zu dienen, nicht um sie zu bewerten“, sagte der chinesische Regisseur gestern vor der Eröffnung der 63. Internationalen Festspiele. „Wir wollen Filme schätzen und anerkennen, die wir inspirierend und berührend finden.“ Die Berlinale sei ein „sehr intimer Ort“ für Filmschaffende und er komme gerne — trotz des Wetters.
Mit der Verpflichtung von Wong Kar Wai ist Berlinale-Chef Dieter Kosslick ein doppeltes Schnäppchen gelungen. Denn das Festival kann sich nicht nur mit einem international hoch angesehenen Filmkünstler Asiens schmücken, sondern bekommt gleich mit Wongs „The Grandmaster“ einen erstklassigen Eröffnungsfilm frei Haus mitgeliefert.
Dabei ist der Filmemacher normalerweise Stammgast in Cannes. Seine jüngsten vier Filme hatten beim Festival an der Côte d’Azur Premiere, darunter das gefeierte Meisterwerk „In the Mood for Love“ (2000).
Doch der in Shanghai geborene und in Hongkong aufgewachsene Regisseur ist noch länger mit dem Berliner Festival verbunden. Denn sein Frühwerk „As Tears Go By“ (1988) wurde in den legendären Mitternachtsvorstellungen des Berlinale-Forums erstmals einem westlichen Publikum zugänglich gemacht. In den vergangenen sechs Jahren war es jedoch recht still um ihn geworden.
Mit seinem neuen Film „The Grandmaster“ besinnt sich Wong Kar Wai wieder auf seine kulturellen und filmhistorischen Wurzeln. Der historische Martial-Arts-Film erzählt die Geschichte des Kung-Fu-Meisters Ip Man (Tony Leung), bei dem Bruce Lee in die Lehre ging, bevor er zur internationalen Ikone des Kampfkunstkinos aufstieg.
In den 30er Jahren erschüttert die Invasion Japans das Land. Der Großmeister Gong Baosen (Wang Qingxiang), der auf der Suche nach einem Nachfolger ist, kommt nach Fushan und lädt Ip Man in seine Schule im Nordosten ein. Aber bevor dieser aufbrechen kann, wird Fushan von der japanischen Armee erobert.
Ip Man verliert Haus, Vermögen und seine beiden Töchter und muss in den 50er Jahren in Hongkong als Kung-Fu-Lehrer ganz von vorn anfangen. Ins Biografische eingeflochten ist eine verhaltene Liebesgeschichte zwischen Ip Man und der Tochter des Großmeisters Gong Er (Ziyi Zhang), die ebenfalls eine begnadete Kampfkünstlerin ist.
Im Wettkampf messen die beiden ihre Fähigkeiten, und während die Körper durch das Treppenhaus eines Nobelbordells wirbeln, streifen ihre Gesichter in Zeitlupe dicht aneinander vorbei — einer der schönsten Beinahe-Küsse der Filmgeschichte. Hier findet sich auch das Motiv der zwischen den Mühlen der Zeit zerriebenen Liebe wieder, das schon Wongs „In the Mood for Love“ so herzzerreißend angetrieben hat.
Aber der Fokus liegt in „The Grandmaster“ nicht auf der Romanze, sondern auf der Darstellung der Martial-Arts-Kultur einer längst vergangenen Ära. Dabei verbindet Wong die artistische Kunstfertigkeit der Darsteller mit seinem kongenialen Gespür für Bildkomposition und dynamische Schnittfolgen. Selten hat man Kampfszenen gesehen, in denen Körper, Bewegung und filmische Gestaltungsmittel eine solch kontemplative Energie auf die Leinwand bringen.
Es ist auch als Bekenntnis des Festivals zu werten, just zur Eröffnung der blühenden Filmkunst Asiens den Vorzug vor der amerikanischen und europäischen Konkurrenz zu geben.