Die Eiseskälte hinter der Idylle
Donnerstag startet Michael Hanekes „Das weiße Band“. Der Film gewann das Festival in Cannes und geht für Deutschland ins Oscar-Rennen.
Düsseldorf. Als Michael Hanekes "Das weiße Band" in diesem Jahr das Festival von Cannes gewann, waren einige doch erstaunt. Denn Haneke entführt in seinem strengen Sittengemälde in eine dörfliche Gemeinschaft im protestantischen Norden Deutschlands am Vorabend des Ersten Weltkriegs.
Der beklemmende Film irritiert und geht an Grenzen, wie so oft bei dem österreichischen Regisseur, der es mit seinen leisen, unaufdringlichen, jedoch umso suggestiveren Filmen ("Caché", "Funny Games") langsam in die Top-Riege der internationalen Regisseure geschafft hat. "Das weiße Band" wird zu Recht als deutscher Beitrag ins Rennen um den Auslands-Oscar geschickt.
Haneke erzählt in seinem neuen Film von mysteriösen Ereignissen in einer kleinen Dorfgemeinde. Dafür hat er einige der besten deutschen Darsteller verpflichtet, Ulrich Tukur ist dabei und Susanne Lothar, Burghart Klaußner, Josef Bierbichler und Branko Samarovski. Der Regisseur verwebt ganz unterschiedliche Familiengeschichten in dieser nur vordergründigen Idylle. Denn hinter den ordentlichen Fassaden herrscht eine Lieblosigkeit und Eiseskälte, die schaudern lässt.
Da ist der strenge Pfarrer, der seine Kinder züchtigt und ihnen ein weißes Band umbindet, das sie ständig an ihre Reinheit erinnern soll. Oder der Arzt, der seiner Geliebten, der Hebamme, erst auf übelste Weise den Laufpass gibt und dann seine Tochter missbraucht. Oder der verzweifelte Bauer, der seine Frau bei einem Unfall verliert und sein bitteres Leben beendet.
Aus Sicht des verliebten Lehrers (Christian Friedel), der dem Hausmädchen des Barons den Hof macht, werden die Schicksale aufgeblättert. Erst als merkwürdige Überfälle auf einzelne Mitglieder der Gemeinde verübt werden, der Arzt durch ein gespanntes Seil vom Pferd stürzt, ein Kind geschlagen, ein anderes geblendet wird, dringt die Unruhe aus der hermetischen Gemeinschaft auch nach außen.
Das Außenleben wiederum, die politischen Ereignisse, finden nur schwachen Widerhall in dieser Gemeinschaft, die nach strengen Konventionen funktioniert und in der jede individuelle Freiheit und Lebenslust erstickt.
Es gehört nicht viel dazu nachzuvollziehen, wie aus den autoritären Strukturen später der Faschismus entstehen kann. Haneke selbst interessiert dabei, wie eine Idee zur Ideologie mutiert, wie er in einem Interview erklärt. Das sei das Grundmodell für jede Form von Terrorismus, deshalb wirkt sein reicher Film, auch wenn er klar verortet ist, universell übertragbar. Haneke erzählt seinen mit 12 Millionen Euro bisher teuersten Film langsam und detailreich. Auf die historisch getreue Ausstattung wurde größter Wert gelegt. Man muss genau hinschauen: Nur in Andeutungen offenbaren sich die Abgründe dieser Menschen.
Das Schwarz-Weiß der Bilder lässt das Dorf wirken wie auf alten Fotografien und doch ist alles ungeheuer nah und lebendig. Der Schluss bleibt, typisch Haneke, offen. Der Zuschauer muss die Schicksale selbst im Kopf weiterspinnen, sich die Konsequenzen allein vorstellen. Das erhöht die Wirkung, denn die Fragen, die Haneke nach Familie, Erziehung, Glaube und Gewalt stellt, beschäftigen weiter.