Drama: Ein Königreich für eine Stimme
Zu Recht für zwölf Oscars nominiert: In „The King’s Speech“ brilliert Colin Firth als Königsspross, der sein Stottern überwindet.
Düsseldorf. Hätte es 1925 YouTube gegeben, wäre diese Szene um die Welt gegangen: Vor mehreren tausend Zuschauern versagt Prinz Albert, dem späteren König von Großbritannien, bei der Abschlussveranstaltung der British Empire Exhibition die Stimme. Er stammelt und krächzt und würgt und schluckt, dass dem Publikum klar wird: Hier hat jemand ein ernstes Problem. Albert wird zum Gespött.
Sein Vater, König George V. (Michael Gambon), will den Makel nicht wahrhaben. Alberts Ehefrau Elizabeth (Helena Bonham Carter) sucht nach professioneller Hilfe. Doch ihr Mann wehrt alles ab. Auch bei Sprachtrainer Lionel Logue (Geoffrey Rush) windet sich Albert vor Widerwillen: Der distanzlose Australier besitzt doch die Unverfrorenheit, ihn „Bertie“ zu nennen. Angeblich, um die Gesprächssituation zu entkrampfen. Als er den Hamlet-Monolog in ein Mikrofon sprechen soll, ohne sich dabei selbst zu hören, platzt ihm der Kragen. Er bricht ab. Abermals.
„The King’s Speech“ ist eine wunderbar erzählte Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft. Natürlich kehrt der Prinz zu Logue zurück, nachdem er zu Hause die Aufnahme seiner Sprachübung angehört hat. Fast fehlerfrei war sein Vortrag. Wer das vollbringt, muss ihm doch auch das vermaledeite Stottern austreiben können. Doch es bleibt nicht beim Training. Logue dringt tief in die Psyche seines Patienten vor. Und stößt auf eine geschundene Kinderseele.
Autor David Seidler und Regisseur Tom Hooper tun gut daran, die Demütigungen aus der Jugend des Prinzen nur anzuschneiden, aber nicht auszuweiden. Sie richten ihr Augenmerk lieber auf die spröde Freundschaft.
Wie nah sich die beiden Männer sind, wird ihnen erst bewusst, als es für Albert ernst wird. Nach dem Tod seines Vaters besteigt zwar sein älterer Bruder Edward (Guy Pearce) den Thron, doch der Hallodri dankt bald ab, weil er mit der zweifach geschiedenen Wallis Simpson glücklich werden will. Plötzlich ist Albert König — ein König ohne Stimme.
Dass Seidler und Hooper den Zeitraum der Therapie deutlich verkürzt haben, um die Handlung zu verdichten, ja selbst, dass Bruder Edward und Vater George entgegen der geschichtlichen Überlieferung als herzlose Egoisten dargestellt werden, spielt keine Rolle. Entscheidend ist die unaufdringliche Geradlinigkeit, mit der Hooper seine traurig-amüsante Geschichte auf die Leinwand bannt. Er schafft Stillleben, in denen die Personen immer ein bisschen so aussehen, als würden sie nicht hundertprozentig ins Bild passen.
Zu Recht ist der Film für zwölf Oscars nominiert. Und seit die Produzenten- und Schauspielergilden bei ihren eigenen Preisvergaben „The King’s Speech“ den Vorrang vor dem bis dahin haushoch favorisierten „The Social Network“ gegeben haben, ist das Rennen um den Hauptpreis beim Oscar wieder völlig offen. So gut wie fest steht bereits, dass Firth zum besten Hauptdarsteller gekürt wird. Wie man eine Rede vor Publikum hält, weiß er ja jetzt.