Endspurt in Toronto: Filmfest der großen Schicksale
Toronto (dpa) - Der Griff zum Taschentuch oder zumindest zum Arm des Sitznachbarn ist beim Filmfest in Toronto eine häufige Bewegung im Zuschauerraum gewesen. Themen wie Folter, Misshandlungen, gepeinigte Seelen und aussichtslose Situationen bestimmten den starken Wettbewerb des 38. Toronto International Film Festival (TIFF).
Die Entscheidung des Publikums am Sonntagnachmittag (Ortszeit) wird mit Spannung erwartet - den Gewinnerfilm wählen traditionell die Zuschauer. Und die mussten einiges über sich ergehen lassen.
Besonders der als Favorit gehandelte Streifen „12 Years A Slave“ schlug manchen wegen seiner minutenlangen Folterszenen auf den Magen. Am Ende gab es bei der Weltpremiere aber Ovationen und den ersten „Oscar-Buzz“. Die Kritiker des britischen „Guardian“ und des amerikanischen „New York Magazine“ gingen gar soweit, das Oscar-Rennen bereits zu Beginn der Saison für beendet zu erklären. Das beklemmende Sklaven-Drama des britischen Regisseurs Steve McQueen erzählt die tragische Geschichte des entführten Schwarzen Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor), der über ein Jahrzehnt lang versklavt und gefoltert wird.
Das Thema Folter zieht sich auch durch „The Railway Man“ mit Colin Firth und Nicole Kidman oder den Thriller „Prisoners“. Während „The Railway Man“ durch die wahren Erlebnisse des britischen Soldaten Eric Lomax (Firth) im Thailand des Zweiten Weltkriegs für Beklemmungen sorgte, war es in „Prisoners“ die grausame Selbstjustiz eines Vaters (Hugh Jackman), die das Publikum schaudern ließ.
Vor allem herausragende Einzelleistungen wie die von Jackman und Ejiofor kurbelten in Toronto die „Oscar“-Prognosen an. Meryl Streeps Darstellung der brutal-ehrlichen Matriarchin überragte die mit gemischten Stimmen aufgenommene Weltpremiere von „August: Osage County“. In dem mit Spannung erwarteten Familiendrama spielen auch Julia Roberts und Ewan McGregor mit.
Matthew McConaughey blieb in „Dallas Buyers Club“ durch seine körperliche Verwandlung und die intensive Darstellung des HIV-positiven Elektrikers Ron Woodroof in Erinnerung. Abgemagert und mit texanischem Akzent spielt er Woodroof, der 1986 in seinem Kampf um Leben und Tod gegen die Pharmaindustrie rebellierte.
Judi Dench und Steve Coogan rührten mit „Philomena“, dem kirchenkritischen Beitrag des Briten Stephen Frears („The Queen“), das Publikum zu Tränen. Die wahre Geschichte um die Suche nach dem zwangsweise zur Adoption abgegebenen Sohn im Irland der 50er Jahre hatte bereits beim Filmfest in Venedig die Zuschauer mitgenommen.
Gelacht werden durfte aber auch. Der trockene Humor des Rennfahrers Niki Lauda, verkörpert von Daniel Brühl, ließ das Publikum bei der Nordamerikapremiere von „Rush“ den schrecklichen Unfall Laudas vergessen. Jude Law pöbelte und fluchte sich in „Dom Hemingway“ zum Publikumsliebling, während Joseph Gordon-Levitt mit seiner Porno-Sucht an der Seite von Scarlett Johansson in „Don Jon“ für Lacher sorgte. Insgesamt werden beim diesjährigen Festival 288 Filme und 78 Kurzfilme aus 70 Ländern präsentiert.