Filmfestival Venedig: Deutscher Beitrag ein Favorit
Venedig (dpa) - Die 70. Ausgabe des Filmfestivals Venedig war in den vergangenen Tagen Anlass für einen Blick zurück. Alte Fernsehbeiträge über die Preisträger längst vergangener Zeiten wurden restauriert und vor jedem neuen Film der diesjährigen Festspiele gezeigt.
Die Rückschau verschmolz so auf kunstvolle Weise mit dem Blick in die Gegenwart und Zukunft des Kinos. Über welche Gewinner die Medien an diesem Wochenende berichten werden, ist noch unklar - das Rennen um den Goldenen Löwen bleibt dank eines starken Wettbewerbs bis zum Schluss spannend. Nur eines ist sicher: An diesem Samstagabend gibt die Jury ihre Entscheidungen bekannt.
Ein Film rangiert in der Gunst der Kritiker seit Tagen an der Spitze: „Philomena“, der kirchenkritische Beitrag des Briten Stephen Frears. Tatsächlich rührten Judi Dench und Steve Coogan viele Zuschauer zu Tränen. Dennoch inszenierte Frears („The Queen“) diese wahre Geschichte um die Suche nach dem zwangsweise zur Adoption abgegebenen Sohn im Irland der 50er Jahre recht konventionell - und könnte für einen Goldenen Löwen dann doch zu gefällig sein.
Wahrscheinlicher ist stattdessen ein Gewinner, der das Festivalpublikum mehr herausforderte und zu Diskussionen anregte. Deswegen wird auch der deutsche Beitrag „Die Frau des Polizisten“ immer wieder als großer Favorit auf den Hauptpreis genannt. Denn Regisseur Philip Gröning erzählt seine Studie von Gewalt in der Ehe in rund drei Stunden und in fast 60 Kapiteln. Damit strapazierte er zwar die Geduld einiger Zuschauer, imponierte zugleich aber mit der Intensität, die sein Werk hinterließ.
Konkurrenz gab es unter anderem durch „Tom à la ferme“ des kanadischen Jung-Regisseurs Xavier Dolan. Seine Studie von Homophobie, Gewalt und der Sehnsucht nach Liebe entwickelte eine emotionale und zugleich körperlich sehr spürbare Wucht. Immerhin prallen beim Besuch eines jungen schwulen Mannes bei der Familie seines verstorbenen Lebensgefährten sehr gegensätzliche Welten aufeinander.
Auch die Italienerin Emma Dante nahm eine Alltagsbeobachtung als Anlass für eine umfassendere Gesellschaftsanalyse: Während sich in „Via Castellana Bandiera“ zwei sturköpfige Frauen in einer engen Gasse in ihren Autos stundenlang gegenüberstehen, gewährt die Regisseurin einen Blick in die Macho-Gesellschaft Siziliens. Noch düsterer war der Beitrag „Jiaoyou (Stray Dogs)“ aus Taiwan, in dem der frühere Löwengewinner Tsai Ming-liang eine Kleinfamilie zeigt, die am Rande der Gesellschaft um ihre Würde und ums Überleben kämpft.
Auf dem venezianischen Lido fallen aber immer wieder noch andere Namen - gerade für die Darsteller: So hätten beispielsweise Mia Wasikowska aus dem visuell opulenten „Tracks“ über eine mehrmonatige Expedition durch die australische Wüste oder Scott Hazes seelische Tour de Force durch James Francos Beitrag „Child of God“ eine Auszeichnung für ihre Leistung verdient.
Jurypräsident Bernardo Bertolucci hatte zur Eröffnung am Mittwoch vergangener Woche angekündigt, er wolle sich bei seiner Suche nach einem Gewinner überraschen lassen. Da es keinen großen Favoriten gibt, wird es bei der Preisverleihung wohl auch so manche Überraschung geben.