Hitchcock-Jubiläum: Der Psychopath als Kinofigur
Hitchcocks „Psycho“ wird 50. Der Film hat Geschichte geschrieben, weil er überzeichnet.
New York. Wenige Szenen haben so sehr Filmgeschichte geschrieben: Eine junge Frau genießt eine Dusche, plötzlich taucht eine schwarze Gestalt auf und sticht mit einem Messer immer wieder auf sie ein. Während ein Streicherthema auf die Trommelfelle des Zuschauers hämmert, fließt das Blut der Schönen in den Abfluss, der sich langsam in das aufgerissene Auge der Toten verwandelt.
"Psycho" ist Kult, er hat Millionen geängstigt, seinem Schöpfer das Image "Horrorfilmer" eingetragen und ganze Generationen von Regisseuren beeinflusst. Jetzt wird der Film 50 Jahre alt - am 16. Juni 1960 feierte er in New York Premiere.
Das Filmverbrechen hatte ein reales Vorbild. Mitte der 50er Jahre ermordete der Amerikaner Ed Gein mindestens zwei Frauen und grub Leichen auf Friedhöfen aus. Als ihm die Polizei auf die Schliche kam, fand sie in seinem Haus eine schauerliche Sammlung abgeschnittener Nasen, Gliedmaßen, Geschlechtsteile und Masken aus Menschenhaut.
Das Verbrechen inspirierte zu mehr als einem Dutzend Filmen, darunter Horrorklassikern wie "Texas Chain Saw Massacre", Werner Herzogs "Stroszek" oder "Das Schweigen der Lämmer". Doch zuerst gab es einen Roman: "Psycho". Robert Bloch schildert darin einen Mann namens Norman Bates, der vom Tod seiner Mutter so traumatisiert ist, dass er immer wieder in ihre Rolle schlüpft und seine angeblich unwürdigen Freundinnen tötet.
Irgendwie bekam Alfred Hitchcock das Buch in die Hand. Weil er nach einem neuen Stoff suchte, sicherte er sich für ein paar Tausend Dollar die Rechte und ließ die bereits gedruckten Bücher aufkaufen. Niemand sollte seinen Film sehen und schon das Ende kennen. Weil Paramount das Projekt geschmacklos fand, finanzierte Hitchcock den Film, mit Mühe, selbst.
In einer von Aufschwung und Babyboom verwöhnten Nachkriegsgesellschaft wirkte der Film wie ein Schock. "Psycho hat die Figur des geisteskranken Killers auf der Leinwand etabliert", sagt der Bochumer Filmwissenschaftler Vinzenz Hediger. Sie sei danach unzählige Male kopiert worden. Bekannte Beispiele sind Filme wie "Fight Club" (1999) mit Edward Norton und Brad Pitt sowie "Zwielicht" (1996) - ebenfalls mit Norton.
Die Faszination von Figuren wie Norman Bates liegt laut Hediger darin, das er "ein Monster ist, dass sich nicht als solches zu erkennen gibt" - zumindest nicht der Opferfigur. Der Zuschauer indes wird von Hitchcock früh auf die richtige Fährte gesetzt.
Dabei konstruiert das Kino eine verzerrte Wirklichkeit. Denn Gewaltverbrechen von Psychopathen kommen laut Psychologieprofessor Denis Köhler gar nicht so häufig vor - erst recht nicht von solchen mit angeblich doppelter Persönlichkeit: "So beliebt das in Hollywood auch ist: Dass ein Mensch mit einer gespaltenen Persönlichkeit mordet, ist sozusagen äußerst, äußerst selten."
Nach Köhlers Worten ist der Begriff der gespaltenen Persönlichkeit ohnehin ungenau. "Jeder Mensch hat nur eine Persönlichkeit. Die seltenen Fälle, die beobachtet wurden, beschreiben Menschen, die gewisse Charakteristika nur unter bestimmten extremen Umständen aufweisen und quasi abspalten, also ihre böse Seite wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde, nur manchmal zeigen. Es ist aber trotzdem nur ein Mensch mit nur einer Persönlichkeit."
Der "Trigger-Reiz", der die Wandlung auslöse, könne beispielsweise ein Geruch sein. Diese sogenannte dissoziative Identitätsstörung dürfe aber nicht mit Schizophrenie verwechselt werden. "Und dass die eine Seite dann nicht weiß, was die andere getan hat, kommt zwar im Kino dauernd vor, in der Praxis aber ganz, ganz selten."