Lars von Triers "Antichrist" - Der Mensch ist ein Raubtier
Lars von Trier schockt Cannes mit dem Film „Antichrist“.
Cannes. Schon im Vorfeld hatte Lars von Triers neuer Film "Antichrist" für Aufregung gesorgt. Doch trotz aller Vorwarnung kann der Ausflug des dänischen Regisseurs ("Dancer in the Dark", "Dogville") ins Horrorgenre einem tatsächlich den Appetit aufs Abendessen vermiesen. Das liegt nicht nur an der drastischen Gewalt, sondern auch an den suggestiven Bildern, die den Zuschauer hinabziehen in einen Strudel archaischer Angstzustände. Nichts für schwache Nerven. Am 10. September kommt er in die deutschen Kinos.
"Antichrist" ist eine internationale Koproduktion, die dank der Fördergelder der Filmstiftung NRW und der Kölner Produzentin Bettina Brokemper, die schon jahrelang mit Lars von Trier arbeitet, komplett in NRW gedreht wurde. Das etwas düstere Bergische Land mit seinen hügeligen Wäldern gibt hier die perfekte Kulisse ab für eine abgründige, aber auch fragwürdige Seelenschau, die Lars von Trier, ein gern gesehener Gast beim Filmfestival von Cannes, bildgewaltig in Szene zu setzen weiß.
Ein namenloses Ehepaar, gespielt von Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg, verliert ihr Kind durch einen tragischen Unfall. Wie dieses Unglück im Prolog des Film³s in schwarz-weißen Zeitlupenbildern ohne Worte visualisiert wird, ist großartig. Die Eltern haben Sex, während das Kind auf die Fensterbank steigt und wie ein fallener Engel in den verschneiten Himmel gleitet.
Sex und Tod, das ist eine Kombination, die den albtraumhaften Film leitmotivisch durchzieht. Das Paar will Abstand gewinnen und zieht sich in eine Hütte im Wald, genannt "Eden", zurück. Dass hier nicht das Paradies wartet, sondern eher die Hölle, ahnt man recht bald.
Die Natur hat hier ihre Schönheit und ihren unschuldigen Zauber verloren. Ein Reh schleift ein totgeborenes Kitz mit sich herum, ein kleiner Vogel fällt aus dem Nest und wird von einem Bussard genüsslich zerfetzt. Doch der Mensch ist das schlimmste Raubtier. Während der Mann, ein Therapeut, versucht, seiner Frau bei der Trauerbewältigung zu helfen, steigert sie sich zunehmend in ihren dämonischen Wahn hinein.
Wo das hinführt, möchte man nicht wirklich beschreiben. Auf jeden Fall werden Knochen zerbohrt und Genitalien verstümmelt, bis die Frau im Namen aller Frauen sich endgültig an der Gewalt der Männer gerächt hat. Oder ist die Frau das Böse? Lars von Trier driftet ab in Splatter, ohne dass sich inhaltliche Zusammenhänge klären. Gelächter kommt im Publikum auf, weil manches Drastische unfreiwillig komisch wirkt. Psychoterror im Kopf wäre wirksamer.
Bei der Pressekonferenz verweigert sich der Regisseur in seiner gewohnt ironischen Art konkreten Fragen nach Erklärungsversuchen, bezeichnet sich als den "besten Regisseur der Welt" und bezieht seinen Film auf Strindberg und auf eigene Depression, der Film sei "ein dunkler Traum von Schuld und Sex" "Und wenn ich nicht schon Depressionen hätte, dann hätte ich sie beim Drehen im Bergischen Land bekommen."