Merida: Prinzessin — da pfeif ich drauf
Mit der Königstochter „Merida“ stellt Pixar gängige Märchenmotive auf den Kopf und fördert Emanzipation im Schloss.
Düsseldorf. Disney und Prinzessinnen, das hat eine lange Tradition. Von Schneewittchen und Cinderella über Beauty Belle bis hin zu Rapunzel — immer waren es zarte Wesen nach Schema K (für Kindchen), die ihr Glück mit einem kernigen jungen Mann fanden, am besten standesgemäß auf Augenhöhe.
Merida ist das totale Gegenteil von all diesem puderzuckrigen Disney-Liebreiz. Die rotgelockte Tochter eines schottischen Königs pfeift auf höfische Etikette. Sie stromert lieber durch den Wald, klettert über zerklüftete Klippen, hetzt ihren treuen Zossen Angus über die saftigen Wiesen der Highlands und wartet insgeheim darauf, dass ihr die sagenumwobenen Irrlichter begegnen, von denen sie seit ihrer Kindheit immer wieder gehört hat. Draußen in freier Wildbahn vergisst Merida oft die Zeit — sehr zum Unmut ihrer Mutter Elinor, die ihre Tochter zu einer würdigen Thronfolgerin erziehen will.
Nicht nur, weil es sich schlicht nicht ziemt, bei Tisch mit den Händen zu essen, sondern vor allem, um Merida zu einer guten Partie zu machen. Der Frieden mit den anderen Clans steht nämlich auf der Kippe. Durch eine Vermählung will Elinor den Zusammenhalt im Königreich sichern. Klassische Heiratspolitik — doch Merida macht nicht mit
Als der Nachwuchs der drei Clans beim traditionellen Wettkampf um sie wirbt, ergreift sie das Privileg der Erstgeborenen und spielt um ihre eigene Hand.
Könige und Hexen, Zaubersprüche und Treueschwüre? Für die Animationsschmiede Pixar waren diese angestaubten Märchenklischees bislang tabu. Interessanter waren für die Pixel-Pioniere um John Lasseter die abwegigen Ideen: liebestolle Roboter („Wall-E“, 2008), gehandicapte Clownfische („Findet Nemo“, 2003) oder Rentner, die der Zwangsräumung entgehen, indem sie samt Haus in luftige Höhen entschwinden („Oben“, 2009).
Pixar-Filme waren nicht nur eine optische Erbauung, sondern auch ein ums andere Mal ein Lehrstück in Sachen Geschichtenerzählen. Wer es schafft, eine durchgeknallte Ausgangsidee zu einem glaubwürdigen Stück Kino zu machen, weiß, wie man verzaubert.
Wenn die Pixar-Macher sich mit „Merida — Legende der Highlands“ nun an ein Genre trauen, das eigentlich dem Mutterkonzern Disney vorbehalten ist, heißt das noch lange nicht, dass sie ausgetretenen Pfaden folgen. Die Regisseure Mark Andrews und Brenda Chapman, die auch die Geschichte ersannen, stellen die Märchenmotive auf den Kopf, um das typische Pixar-Thema Emanzipation in ihnen ironisch zu spiegeln.
Der König ist ein sensibler Kraftprotz, der weltoffen genug ist, zur Belustigung seiner Frau eine hinreißende Travestienummer hinzulegen. Und die Stammhalter seines Clans, die Drillinge, ähneln eher unberechenbaren Trollen als künftigen Prinzen.
Auch das Böse kommt in Märchengestalt. Von einer Hexe erhofft Merida sich einen Zauber, der ihre Mutter zum Umdenken bewegen soll. Doch der Pakt endet verheerend. Die Prinzessin hat nur anderthalb Tage Zeit, den Fluch rückgängig zu machen. Sie weiß nur beim besten Willen nicht, wie.
Wieder schafft Pixar es, abseits von Genregrenzen eine wunderbar versponnene Geschichte zu erzählen, wendungsreich, warmherzig und teilweise brüllend komisch. Dieser besondere Funken Sehnsucht nach mehr vom Leben, der Meisterwerke wie „Ratatouille“ (2007) oder „Toy Story 3“ (2010) so magisch erhellt, fehlt allerdings. Er glimmt nur verhalten zwischen gut getimtem Slapstick und erwartbarer Moral.