„Sarahs Schlüssel“: Kampf gegen das Vergessen

Paris (dpa) - Die jüngste Geschichte der Juden in Frankreich darzustellen, ist für jeden Regisseur eine Herausforderung. Die Filme laufen Gefahr schockierend, naiv, pathetisch oder unehrlich zu sein.

Nicht so „Sarahs Schlüssel“.

Dem französischen Filmemacher Gilles Paquet-Brenner ist eine einfühlsame und bewegende Geschichte über ein zehnjähriges Mädchen gelungen, das im Juli 1942 zusammen mit fast 13 000 Juden in Paris zur Deportation aufgespürt wird. Der Film ist reine Fiktion und orientiert sich an dem Bestseller der französischen Autorin Tatiana de Rosnay. Dass er jedoch der Wirklichkeit so verstörend und aufwühlend nah kommt, liegt daran, dass sich das Drama auf zwei Zeit- und Erzählebenen abspielt: Einerseits die Deportation der kleinen Sarah im Juli 1942, andererseits die Geschichte von Julia 67 Jahre später.

Julia ist Journalistin und recherchiert für einen Artikel über die Razzia. Auf der Suche nach dem Schicksal der zehnjährigen Sarah, verweben sich die Fäden zwischen ihrem Leben und dem von Sarah immer mehr. Die Reporterin entdeckt ihre eigene Familiengeschichte. Der Film mit Kristin Scott Thomas verbindet Vergangenheit und Gegenwart und wirkt lange nach. Er stellt die zentralen Fragen nach dem Trauma der Opfer und dem Schweigen der Überlebenden.

16. Juli 1942: Die Polizei dringt in die Wohnung der Familie Starzynski ein. Zusammen mit rund 13 000 anderen Pariser Juden wird Sarah mit ihren Eltern ins Radrennstadion Vel' d'Hiv gebracht. Unter unmenschlichen Bedingungen werden sie dort zusammengepfercht, bevor sie in Durchgangslager transportiert werden. Sarah wird von ihren Eltern getrennt und kann fliehen. Sie muss nach Paris zurück, um ihren Bruder aus dem Wandschrank zu befreien. Dort hatte sie ihn eingesperrt, weil sie ihn vor der französischen Polizei schützen wollte.

Paris 2009: Bertrand Tezac besichtigt zusammen mit seiner Frau und Journalistin Julia ihre zukünftige Wohnung, die seit 1942 seinen Eltern gehört. Sie recherchiert an einer Geschichte über die Deportation der Pariser Juden in jenem Sommer. Sie will auch mehr über die Wohnung wissen und darüber, unter welchen Umständen ihre Schwiegereltern nur einen Monat nach der Hetzjagd auf die Juden in den Besitz der Wohnung gekommen sind. Bei ihren Nachforschungen stößt sie auf ein Bild von Sarah und erfährt, dass sich in ihrer zukünftigen Wohnung ein menschliches Drama abgespielt hat.

Gilles Paquet-Brenner („In der Glut der Sonne“, „Bad Cops“) ist der Romanvorlage von Tatiana de Rosnay bis auf einen nicht unwesentlichen Aspekt ziemlich treu geblieben. Im Roman hat sich Sarahs kleiner Bruder spontan im Wandschrank versteckt, im Film hat Sarah ihn dazu überredet. Eine gewichtige Veränderung, die die Frage nach dem Schuldgefühl nachhaltiger stellt. Nachdem Sarah dem Lager entkommen ist, wird sie von einer Bauernfamilie aufgezogen, die sie als junge Frau verlässt, um in Amerika ein neues Leben zu beginnen. Dort entscheidet sie sich schließlich für den Freitod.

Julia wird hervorragend von Kristin Scott Thomas („Der englische Patient“) als eine in persönliche Konflikte steckende Frau und kritische Journalistin dargestellt. Der stete Wechsel zwischen den Lebensgeschichten Julias und Sarahs holt die Vergangenheit ganz dicht an die Gegenwart heran und geht ans Herz. Der Film ist einfühlsam, unpathetisch, bewegend und erinnert daran, dass wir alle das Ergebnis unserer Geschichte sind.