Taking Woodstock: Nicht auf der Bühne, sondern in der Wiese lag das Glück
Zeitgeschichte: Von Lebensträumen und Aufbruchstimmung erzählt Ang Lees „Taking Woodstock“.
Der Mythos lebt bis heute - allerdings unter falschem Namen. Denn in Woodstock, dem verschlafenen Nest im Staate New York, fand das legendäre Rockfestival 1969 gar nicht statt. Die Veranstalter mussten mangels Genehmigung auf die Kuhweide eines Farmers im 70 Kilometer entfernten Bethel ausweichen. Vermittelt wurde die Pacht von Elliot Tiber, einem jungen Mann, der bis zu diesem Zeitpunkt die eigenen Träume hintangestellt hatte, um seinen Eltern dabei zu helfen, deren marodes Motel über Wasser zu halten.
Wie ihn der mehrtägige Konzertmarathon dazu brachte, sein Leben doch noch in die Hand zu nehmen, erzählt Ausnahmeregisseur Ang Lee in seinem wunderbar lakonischen "Taking Woodstock". Wie eine Invasion brechen die Hippies über Bethel und die herumliegenden Gemeinden herein. Gerechnet hatten die Organisatoren mit maximal 50000 Besuchern. Tatsächlich wurden es eine halbe Million.
Elliot (Demetri Martin) wird das alles, was heute ikonografisch für eine ganze musikalische Ära steht - Hendrix, Joplin und Joe Cocker - verpassen. Einmal zumindest versucht er, bis zur Bühne vorzudringen, bleibt aber im Wohnmobil eines Pärchens auf einem LSD-Trip hängen. Auf das Konzert, wird er merken, kommt es aber auch nicht an. Entscheidend ist das Gefühl von Aufbruch und Befreiung, das Elliot dazu bringt, offen zu seiner Homosexualität zu stehen. Schien diese Form sexueller Selbstverwirklichung in "Brokeback Mountain" noch ein Ding der Unmöglichkeit, liefert Lee mit Elliots Erweckungskuss den hoffnungsfrohen Gegenentwurf.
Er begeht aber auch nicht den Fehler, Woodstock zu glorifizieren. In der schönsten Szene des Films lässt sich Elliot von einem Polizeibeamten auf dessen Motorrad zum Festivalgelände fahren, mitten durch den sich bunt voranwälzenden Pilgerstrom. Einer der Hippies hält ein Schild in die Höhe, "Bob Dylan, zeig Dich", ist darauf zu lesen. Dylan kam aber nicht. Das Leben war selbst damals, während dieser drei Tage, kein Wunschkonzert.
Wertung: Fünf von fünf Punkten.