"Tatort"-Kritik "Tatort: Der rote Schatten": 90 Minuten RAF zwischen Fiktion und Dokumentation
Schnell, kurzweilig und charmant absurd beginnt der Tatort „Der rote Schatten“ aus Stuttgart. Nach einem vielversprechenden Start kippt der Spannungsbogen des Films aber deutlich.
Christoph Heider wird ertappt, als er den Leichnam seiner Ex-Frau Marianne aus der Friedhofskapelle entführt, um ihn im Ausland obduzieren zu lassen. Marianne Heider kam angeblich bei einem Badewannenunfall ums Leben. Ihr Ex-Mann glaubt jedoch, dass sie von ihrem aktuellen Lebensgefährten Wilhelm Jordan ermordet wurde.
Für Thorsten Lannert (Ricky Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) sollte das gar kein Fall sein - immerhin hat die Staatsanwaltschaft Marianne Heiders Tod bereits als Unfall zu den Akten gelegt. Und Oberstaatsanwalt Lutz weist Emilia Álvarez an, den Fall nicht wieder aufzurollen. Doch Lannert und Bootz finden Heiders Darstellung glaubwürdig genug, um der Sache nachzugehen.
Schnell, kurzweilig und charmant absurd beginnt der Tatort „Der rote Schatten“ aus Stuttgart. Nach einem vielversprechenden Start kippt der Spannungsbogen des Films aber deutlich. Nachdem der letzte sehr gelungene Stuttgarter Tatort „Stau“ erst im September Premiere feierte, sind Lannert und Bootz im Oktober erneut am Sonntagabend zu sehen. Dies ist kein Zufall, denn der Krimi spielt genau 40 Jahre nach dem Deutschen Herbst, als die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in dem Stuttgarter Gefängnis Stammheim Suizid begangen haben. Die Frage, wie die Häftlinge damals an die Waffen gekommen sind und ob dies unbemerkt geschehen konnte lässt bis heute Raum für Spekulationen.
Die Verbindung zwischen dem einleitenden Kriminalfall und den historischen Ereignissen vom Herbst ´77 gelingt den Drehbuchautoren noch recht glimpflich. Bei Wilhelm Jordan handelt es sich um einen V-Mann. Der Verfassungsschutz deckt seinen Mitarbeiter auch im Mordfall, denn er hat eine wichtige Rolle im Stammheim-Prozess gespielt und ist auch heute noch wichtig, um die letzten abgetauchten RAF-Terroristen aufzuspüren. Der Fall ist schnell klar, den Kommissaren werden aber bei ihren Ermittlungen vom Verfassungsschutz Steine in den Weg gelegt. Damit ist Dramaturgie des Films nach 20 Minuten auserzählt.
Anstatt der Handlung einen neuen Twist zu geben, wird sie nun mit hecktisch aneinander geschnittenen Dokumentarbildern von 1977, fiktiven historischen Szenen und den weißweingeschwängerten Verschwörungstheorien der einzelnen Charaktere versponnen.
Die Kommissare spielen Katz und Maus mit dem Verfassungsschutz. Die Terroristen spielen Katz und Maus mit der Polizei und der Zuschauer verliert den roten Faden. Wird er hier doch mit einer Mischung aus drei Zeitebenen und einem Misch-Masch aus dokumentarischen und fiktiven Handlungsstrengen bombardiert.
Die Mischung aus Dokumentation, Fiktion und Fakten ist so verwirrend, dass man das Gefühl bekommt die Drehbuchautoren wollten auf Teufel komm raus alle auch nur erdenklichen Informationen rund um den Komplex „Todesnacht von Stammheim“ in die 90 Minuten Spielfilm unterbringen.
Der Stilmix funktioniert zu Beginn noch ganz gut, hat aber seine Längen und verliert schließlich den roten Faden, als jede einzelne Erzählebene im Sand verläuft. Die Hintergründe jeder einzelner Figur, historisch wie fiktiv, werden angeschnitten, aber nicht um die Handlung voranzutreiben, sondern rein dokumentarisch.
Hier werden historische Bilder mit allen möglichen und unmöglichen Theorien und Ansätzen garniert. Dazu mimt Thorsten Lannert die Identifikationsfigur für die Zeitzeugen, die sich fragen: „Wie habe ich mich damals verhalten?“, „War ich auf der richtigen Seite?“.
„Der rote Schatten“ ist ein Film, der sich gut dazu eignet die eigenen Gedanken und Gefühle an diese Zeit und die Ereignisse des Herbst 77 zu reflektieren und die Diskussionen neu anzuregen. Aus filmischer Sicht haben die Drehbuchautoren sich hier aber zu viel vorgenommen. Weniger ist manchmal eben doch mehr.