Tragikomödie: Das infernalische Quartett
Roman Polanski adaptiert Yasmina Rezas Bühnentriumph „Der Gott des Gemetzels“ mit erlesenem Ensemble fürs Kino.
Lächle, und die Welt lächelt zurück, heißt es in einem dieser hohlen Sprüche, die aus unserem Leben einen Laura-Ashley-Showroom zu machen versuchen. Auch Nancy (Kate Winslet) und Alan Cowan (Christoph Waltz) ziehen tapfer die Mundwinkel nach oben, als sie bei Penelope (Jodie Foster) und Michael Longstreet (John C. Reilly) den Canossa-Gang proben. Die Söhne der beiden Paare hatten beim Spielen eine Auseinandersetzung. Der eine schlug dem anderen dabei ein Stück Schneidezahn aus.
Wie es unter zivilisierten Großstädtern üblich ist, will man sich friedlich einigen, der Film beginnt, als die Formalitäten bereits ausgetauscht sind und Penelope die Übereinkunft für die Versicherungsakten am Computer protokolliert. Fünf Minuten formvollendete Deeskalation wird von beiden Seiten demonstriert. Ein paar Formulierungen müssen zwar abgewogen werden, letztlich einigt man sich aber schnell. Die Angelegenheit scheint erledigt.
Verhängnisvoll ist die gemeinsame Erleichterung über den glimpflichen Verlauf. Anstatt sich zu verabschieden, versuchen sich die beiden Paare im Small-Talk. Ein Apfelkuchen wird serviert, Nancy und Alan essen ihn höflich, bekunden etwas zu eifrig, wie gut er schmeckt. Irgendwann stellt Penelope den Gästen scheinbar beiläufig die Frage, die den fragilen Frieden ins Wanken bringt: Wie machen Sie Ihrem Sohn klar, dass er einen Fehler gemacht hat?
Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ gehört nicht umsonst schon jetzt, gerade mal fünf Jahre nach der Uraufführung in Zürich, zu den erfolgreichsten Theaterstücken der vergangenen Jahrzehnte. Genüsslich zerlegt die französische Autorin darin die Wertvorstellungen des gehobenen Bürgertums. Nichts ist ihr dabei heilig, alles, woran ihre Figuren Halt suchen, wird brüchig, stürzt ein und lässt die Protagonisten auf einem psychischen Schlachtfeld zurück.
Penelope hat das größte Sendungsbewusstsein. Sie ist politisch engagiert, hat ein Buch über den Darfur-Konflikt verfasst und leidet unter dem Märtyrerkomplex, stets alles richtig zu machen, dafür aber nur Hohn zu ernten. Alan wird ständig auf seinem Smartphone angerufen, unterbricht dafür den angestrengten Plausch und outet sich vor den Gastgebern als zynischer Pharma-Lobbyist. Nancy und Michael versuchen, den heraufziehenden Eklat zwischen ihren beiden Partnern zunächst zu beschwichtigen. Als Nancy allerdings spontan schlecht wird und sie sich auf Penelopes wertvolle Kunstbände übergeben muss, ist das Gefecht eröffnet.
Niemand ist mehr sicher, über Kreuz tauschen die Allianzen. Unterdrückte Aggressionen brechen sich Bahn, zunächst werden nur Gewohnheiten wie Alans Handy-Versessenheit oder Michaels devote Freundlichkeit in Frage gestellt. Irgendwann sind es dann die Lebensentwürfe der beiden Paare, die unvereinbar aufeinanderprallen und dabei erkennen lassen, dass niemand wirklich glücklich ist hinter seiner wohlfeilen Fassade.
Roman Polanski, der mit „Der Tod und das Mädchen“ bereits 1994 einen modernen Theaterklassiker fürs Kino adaptierte, beweist auch diesmal sein feines Gespür für Kammerspielsituationen: Er lässt vier schauspielerische Schwergewichte von der Kette, die die statische Kulisse von lediglich vier Zimmern einer New Yorker Wohnung vergessen machen.
Waltz ist als nonchalanter Kotzbrocken Alan fast schon zu gut. Mit traumwandelnder Finesse lebt er seinen Part, während seine Mitakteure ihre Rollen, wenn auch mit Bravour, nur spielen. Eine süffisant hochgezogene Augenbraue hier, ein sanft spöttelnder Mundwinkel dort.
Nur Alan hat sich damit abgefunden, dass sich jeder Mensch irgendwie von seiner Existenz ablenken muss, weil er sonst an der Sinnfrage verzweifelt: Lächle, wenn es zum Weinen nicht reicht, heißt deswegen seine Devise. Und wer weint schon wegen ein bisschen Zahn?