„Haus der Geschichte“ „German Angst“ - Sogar in der Unterhose schrillt eine Sirene
Bonn · Das Haus der Geschichte in Bonn untersucht das Phänomen der „German Angst“. Und relativiert dabei manch aktuelle Debatte.
„German Angst“ – das ist im Ausland ein feststehender Begriff. Wie angstbehaftet Deutsche sind, zeigt sich für Niederländer schon darin, dass sie mit Helm Fahrrad fahren. Sie befürchten eben immer gleich das Schlimmste, heißt es dann schnell. Eine neue Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn geht diesem Phänomen jetzt auf den Grund.
Die „German Angst“ wird für gewöhnlich auf die traumatische erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgeführt. Erst der Erste Weltkrieg, dann die große Inflation, die bis 1923 die Ersparnisse der Deutschen vernichtete, und schließlich der komplette, auch moralische Ruin durch Nazizeit, Holocaust und Zweiten Weltkrieg. Diese Katastrophen führten zu einem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis.
Angela Merkels „Wir schaffen das“ tönt in Bonn aus den Lautsprechern, dazu sieht man ein Modell für einen Düsseldorfer Karnevalswagen: Die Bundeskanzlerin wird von einer „Flüchtlingswelle“ mitgerissen. In einer Vitrine liegt eine „Safeshort“: Zieht man diese Unterhose gewaltsam herunter, ertönt eine eingebaute Sirene. Die Werbung dazu arbeitet mit Schlüsselbegriffen wie „Kölner Silvesternacht“ und „Übergriffe“.
„Terroranschläge und die Flüchtlingskrise, aber auch die Sorge vor einem digitalen Überwachungsstaat lassen viele Menschen in Deutschland heute nachts unruhig schlafen“, sagte der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Hans Walter Hütter. „Ebenso diffus erschienen den Zeitgenossen der 1980er Jahre die militärischen und ökologischen Bedrohungen ihrer Zeit. Die Angst vor einem Atomkrieg, die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl und das befürchtete Waldsterben riefen große Sorgen und Proteste hervor.“
Viele Ängste waren schon mal da
Wenn die Ausstellung eines deutlich macht, dann, dass vieles schon mal da war. „Angst hat die Deutschen gepackt, Angst vor den Fremden“, schrieb ein Magazin nach einem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen – nicht 2015, sondern 1992. Damals flohen viele Menschen vor dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien. Deutschland war im Bann von Begriffen wie „Flut“, „Welle“, „Strom“.
Lauter Glatzköpfe mit aufgedrucktem Strichcode – so warnt ein Foto vor „Totalerfassung“ – im Jahr 1983, als gerade der Computer aufkam. Zur selben Zeit versetzte die Vorstellung eines großflächigen Waldsterbens die deutsche Öffentlichkeit in Panik. „Fast jede Woche ein Bericht über den sterbenden Wald, jede Woche derselbe Frust, jede Woche die wahnsinnige Angst“, klagte ein „Stern“-Leser 1985. „Lohnt es sich da noch, Kinder in die Welt zu setzen?“
Die Medien kommen nicht gut weg
Kurios ist, dass in der Bundesrepublik der deutsche Wald zeitweise fast schon abgeschrieben wurde, während es in der DDR offiziell keinerlei Waldsterben gab. Der saure Regen endete sozusagen an der innerdeutschen Grenze. Interessant auch: Der Klimawandel scheint zurzeit keine ähnliche Angstwelle auszulösen. Da, so sagen die Ausstellungsmacher, sei die Haltung eher, dass man das doch hoffentlich noch in den Griff bekomme. Irgendwie.
Breiten Raum in der Bonner Ausstellung nehmen die Medien ein – und sie kommen nicht gut dabei weg. Im Rückblick wird deutlich, dass sie Angstwellen allzu oft eher befeuerten, anstatt die Debatte mit Fakten zu versachlichen. Hans Walter Hütter meint, dass heute die Sozialen Netzwerke die Angstwellen noch zusätzlich verstärken. Gleichzeitig würden die Ausschläge immer kürzer: „Nächste Woche ist schon wieder was anderes dran.“