Herbert Grönemeyer: "Ich versenke mich in die Sprache"

Herbert Grönemeyer ist mit seinem vierzehnten Album "Dauernd jetzt" zurück — ein Plädoyer für ein Leben im Hier und Jetzt.

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Berlin. Ein kühler Herbstabend in Berlin, ein Luxushotel am Gendarmenmarkt. Herbert Grönemeyer wirkt müde, er hat viel gearbeitet in den vergangenen Monaten, sein vierzehntes Studioalbum „Dauernd jetzt“ steht kurz vor der Veröffentlichung. Entspannt ist er dennoch, während er im Interview über die Schönheit des Lebens und die Tücken beim Texten spricht.

Herr Grönemeyer, Ihr neues Album klingt optimistisch und die Single „Morgen“ durchaus verliebt. Wie autobiografisch sind Ihre Texte?

Herbert Grönemeyer: Sie wollen wissen, ob ich eine neue Freundin habe (lacht)? Ich bin seit zweieinhalb Jahren in einer sehr glücklichen Beziehung und ich denke, das merkt man der Platte auch an. Ich würde sagen, autobiografisch ist das Gefühl, diese Euphorie, das ist neben den Texten eine zweite Ebene und die findet sich natürlich nicht bei jedem Lied.

Wie beginnt ein neues Album? Mit einer bestimmten Idee?

Grönemeyer: Ich gehe nicht mit einem Konzept an eine Platte, das entsteht aus dem Chaos. Ich klimpere zu Hause täglich vor mich hin. Habe ich fünf, sechs passende Stücke zusammen, kommt der Punkt, wo ich denke, jetzt hast Du wieder Hunger, jetzt könntest Du wieder eine Platte machen.

Erst wenn die Musik fertig ist, schreiben Sie die Texte. Wie kann man sich das vorstellen?

Grönemeyer: Ich versenke mich in Sprache, mache nichts anderes, sitze am Schreibtisch mit Zeitungen, Büchern, schichtweise Papier und lese. In diesem Wust laufe ich warm, schreibe Listen mit Wörtern und oft passiert wochenlang nichts, eine Katastrophe. Es ist der schiere Wahnsinn, ich wache auch nachts auf und ändere etwas. Manchmal brauche ich nur ein Wort, was mich weiterschießt wie die Zündung einer Rakete.

Wie ist diese Phase für Ihre Mitmenschen?

Grönemeyer: Irre, furchtbar! Ich bin egomanisch, mache alle kirre, da möchte man nicht mit mir zusammen sein. Speziell bei „Dauernd jetzt“ habe ich teils mehrere Texte pro Song eingesungen und Freunden geschickt, sie zigmal das Gleiche gefragt.

Das Lied „Uniform“ ist eine Abrechnung mit der Internet-Gesellschaft. Wie schützen sie sich vor der „digitalen Diktatur“?

Grönemeyer: Indem ich meine Kamera abgeklebt habe, privat nicht auf Facebook oder Insta- gram bin, meinen Ortungsdienst ausgeschaltet und keine Mailadresse bei Google habe. Ich bin nicht gegen das Internet, aber ich bin dagegen, dass man sich in dieser Internetsuppe auszieht. Das finde ich albern. Jeder macht sich selbst zum Star und schmeißt jedes seiner Details da rein. Ich stell mir dann vor, wie die bei den Internetriesen zusammensitzen und selbstherrlich denken, sie hätten die Welt unter Kontrolle.

Sie haben Millionen Fans. Gibt‘s Momente, in denen Sie begreifen, was es bedeutet, Herbert Grönemeyer zu sein?

Grönemeyer: Es ist jetzt nicht so, dass ich morgens aufstehe und sage: Boah! Es ist eher so, dass man sich wundert, man begreift nicht, wer man in den Augen anderer Menschen ist. Auf der letzten Tour stand ich zum Beispiel vor dem Konzert in Leipzig im Stadion und dachte: Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Oder ich bin ganz fassungslos, wenn mir Menschen erzählen, was meine Lieder für sie bedeuten.

Haben Sie sich als Kind ein bestimmtes Leben erträumt?

Grönemeyer: Nein, ich habe immer versucht, von Tag zu Tag zu leben. Das mache ich auch heute noch. Ich wollte auch nie Sänger werden. Ich dachte, vielleicht werde ich Fußballer oder Gebrauchtwagenhändler. Ich war nie ein Planer, ich habe immer geschaut: Hoffentlich habe ich einen schönen Tag, hoffentlich wird‘s lustig heute. Ich habe geträumt, dass ich vielleicht mal einen Freistoß verwandele in der letzten Minute, aber sonst habe ich mir für meine Zukunft nie viel vorgestellt.

Das passt zum Albumtitel.

Grönemeyer: Ja, es geht um das Gefühl, das Schönste herauszubekommen aus dem Moment. So wie wir jetzt hier zusammensitzen, dass ich nachher denke: Ach, war doch ein schönes Gespräch. Die Idee hinter dem Titel ist, dass man den Moment streckt und dadurch länger darin bleibt. Zu viel Planung nützt doch nichts.

Nächstes Jahr folgt die Tour. Unterscheidet sich das Publikum von Stadt zu Stadt?

Grönemeyer: Jede Stadt ist ein anderes Mädchen, würde ich sagen. Jede Stadt hat eine eigene Qualität. Die Kölner feiern schon, da ist man noch gar nicht auf der Bühne. Die Hamburger kommen ganz ruhig, sind euphorisch und bleiben lange. Im Ruhrgebiet sind die Menschen eher abwartend, die schauen erstmal, ob man der Alte ist. Es gibt kein Rezept für die Bühne, Du weißt vorher nicht, was passiert. Selbst zwischen Dortmund und Schalke gibt es einen Unterschied.