Herta Müllers Alltags-Poesie
Die Nobelpreisträgerin schildert in Düsseldorf, was ihr Schaffen prägt: Not, Terror — und Gedichte mit Schere und Kleister.
Düsseldorf. Die Sonnenbrille ins schwarze Haar über dem blassen Gesicht geschoben, schwarz gekleidet — seit dem 8. Oktober 2009 ist das ein vertrauter Anblick: An diesem Tag bekam Herta Müller den Literatur-Nobelpreis zugesprochen. Jetzt las sie zum Abschluss der ersten Düsseldorfer Literaturtage im Savoy, wirkte in ihrer gewohnten Zurückhaltung entspannt.
Im Gespräch mit Ernest Wichner — der Lyriker und Leiter des Literaturhauses Berlin ist wie sie Rumäniendeutscher und ein langjähriger Vertrauter — und durch klug gewählte Passagen aus ihren Büchern bringt die 57-Jährige den rund 500 oft atemlos lauschenden Zuschauern nahe, was ihr Leben und Schaffen prägt. Grundsätzlich Neues war nicht darunter. Doch beeindruckt und bedrückt in ihren kristallscharfen Formulierungen immer wieder, wie sich beides im repressiven Gefüge ihres engstirnigen Heimatdorfes, unter materieller Not, Verrat und politischem Terror entwickelt hat.
So schildert Herta Müller, wie sie in den 80er Jahren unter der Ceausescu-Diktatur jahrelang um die Veröffentlichung ihres ersten Buches „Niederungen“ gekämpft hat.
Der Lektor „also der Zensor“, strich aus ihren Texten Worte wie „Koffer“ heraus — das hätte Leser ja auf das Tabuthema Auswanderung bringen können. Russland wurde weder so noch „UdSSR“ genannt, stattdessen galt die Formel „fernes, fremdes Land“.
Herta Müller zitiert aus ihrer Nobelpreis-Rede, in der sie die große Kraft der kleinen Gesten feiert, wenn etwa ein Stoff-Taschentuch zum vielfältigen alltags-poetischen Zeichen wird: für eine indirekte Zärtlichkeit der Mutter, ein Behelfsbüro auf der Treppe, als der Geheimdienst die damalige Übersetzerin in der Fabrik schikaniert, und für die Hoffnung aufs Überleben im russischen Arbeitslager.
Bewegend erzählt sie, wie sie mit dem Lyriker Oskar Pastior über vier Jahre das Buch „Herzschaukel“ über seine Erlebnisse im Lager vorbereitet hat und wie schwer sie sich tat, es tatsächlich zu schreiben, nachdem er „auf der Buchmesse 2006 tot umgefallen ist“.
Sie spricht ihre Erschütterung an, als im vorigen Herbst bekannt wurde, dass auch Freund Pastior über Jahre für den rumänischen Geheimdienst Securitate gearbeitet hatte: „Es hat mich erst fassungslos gemacht.“ Aber man müsse genau hinsehen. Bisher seien in seiner Akte „nur vier harmlose Berichte gefunden“ worden: „Ich bin froh, dass ich mich nicht von ihm verabschieden muss.“
Das Bild der erfahrungsschweren Intellektuellen ist jedoch wie weggewischt, als sie zum Schluss vergnügt erzählt, wie sie für ihre Collagen Gedichte mit Schere und Kleister erarbeitet. Sie schneidet Wörter aus Zeitungen aus („Ich habe Tausende“) und bringt sie auf handelsüblichen Karteikarten in lyrische Form: „Die kleinen Reime sind wie ein Motor, der den Text in eine andere Richtung katapultiert.“ Nach dieser sinnlichen Arbeit sei sie süchtig, sagt Herta Müller: „Eine Karte ist schnell fertig — in einer Woche hat man etwas. Das gibt auch mehr Selbstbewusstsein, als wenn man ein Jahr an einem Text knabbert.“