Jan Dibbets: „Fast alle Fotografen sind dumm“
Düsseldorf feiert ein Fotofestival. Doch was ist daran Kunst und was bloßes Abbild? Ein Gespräch mit Jan Dibbets, der streng urteilt.
Düsseldorf. Eine Flut von Foto-Ausstellungen überschwemmt derzeit die Landeshauptstadt. Handelt es sich um Fotografie oder Kunst? Einer, der auf den Unterschied pocht, ist Jan Dibbets. Der holländische Künstler kommt zu einem harten Urteil. Für ihn ist die klassische Fotografie schlichtweg uninteressant. Wir interviewten ihn bei seiner Vernissage in der Akademie- Galerie.
Jan Dibbets, Fotokünstler
Herr Dibbets, Sie gelten als Konzeptkünstler. Wie kamen Sie zur Fotokunst?
Dibbets: Auf Umwegen. Ich war vier Jahre lang ein traditioneller klassischer Maler und Zeichner. Als ich auf die Akademie in Tilburg ging, bewunderte ich Mondrian. Die Akademie war so ziemlich die schlechteste Akademie, die man sich vorstellen konnte. Man studierte dort ein Fach. Es ging nicht darum, dass jemand ein Künstler wird. Künstler könne man später werden. Wir lernten Perspektive, Kunstgeschichte, Porträt und Stillleben. Dabei kam natürlich keine Kunst heraus. Die Lehrer sagten auch untereinander, sie könnten eigentlich auch nichts. Aber gerade das war total gut.
Ihr Aha-Erlebnis?
Dibbets: Ich hatte noch nie ein Foto gemacht, als meine Schwester 1967 einen Fotoapparat bekam, eine Box, ein ganz billiges, russisches Ding für 25 Gulden. Da habe ich reingeguckt und gedacht, was passiert hier eigentlich? Das war so interessant, das war der große Unterschied zur Malerei. 2016 kuratierte ich im Musée d’art Moderne de la Ville de Paris die Ausstellung „Pandoras Box“ und reflektierte meine Ansichten über Fotografie und über das, was andere gemacht haben.
Ihr Fazit?
Dibbets: Dass 99 Prozent der Fotografie schlichtweg dumm ist. Die Leute wollen nur Abbilder. Die Leute denken nicht über Fotografie nach, die machen nur Fotos.
Ihr Werdegang?
Dibbets: Ich habe anfangs Land Art gemacht und Perspektiven korrigiert. Ich habe Ende der 1960er Jahre eine mit der Kordel auf dem Rasen oder an der Wand gezogene geometrische Figur so weit verzerrt, bis sie vom trügerischen „Fotoauge“ wieder in ihrer ursprünglichen Form wiedergegeben wurde. Oder ich habe ein Landschaftspanorama einer sich bewegenden Kamera entsprechend in Einzelphasen aufgesplittert.
Wie kam es zu Ihrer ersten Ausstellung bei Konrad Fischer in Düsseldorf?
Dibbets: Wir haben uns 1967 in Frankfurt kennengelernt. Da war Konrad noch der Künstler Konrad Lueg. Paul Maenz, der damals noch eine Werbeagentur hatte, lud Richard Long, Barry Flanagan, George (noch ohne Gilbert), Peter Roehr und Charlotte Posenenske ein. Die Ausstellung fand in der Galerie Dorothea Loehr am Stadtrand von Frankfurt auf einem Bauernhof statt. Ihr Titel: „Dies alles, Herzchen, wird einmal dir gehören.“ Gezeigt wurde vor allem immaterielle Kunst. Da erklärte mir Konrad, er sei an meiner Arbeit interessiert und eröffne eine Galerie. Ab August 1968 stellte er mich aus, kurz vor Richard Long und direkt nach Bruce Nauman.
Sie haben aus dem Innenraum heraus fotografiert und den Lauf des Tages im Werden und Vergehen von Licht wiedergegeben. Oder Sie vertrieben die Zentralperspektive aus der Fotografie. Vor allem interessierten Sie sich für den allmählichen Übergang von der Realität in die Abstraktion. Sehen Sie sich als Forscher?
Dibbets: Das hat mit Mathematik zu tun.
Später kommt auch das Malen-Können zum Vorschein. Können Sie Ihre Panorama- und Fensterbilder erklären?
Dibbets: Ich wollte wissen, was ein Foto in einem anderen Kontext stark macht. Ich habe es auf den weißen Untergrund geklebt und drum herum gemalt, ausgewaschen und die Farbe wieder neu aufgetragen. Ich wollte wissen, wie die Textur auf ein Foto „antwortet“.
Wir sehen ein Foto wie ein Loch, das aus der Leinwand nach vorn springt. Ist das so?
Dibbets: Das Foto zeigt ein Fenster ohne Glas in einem spanischen Kloster. Schneidet man das Motiv aus, dann ist es isoliert von dem, was es eigentlich war und wird etwas Anderes, wird zu einem richtigen Loch. Und irgendwann wird aus Foto und Hintergrund ein Duett. Der Weg dahin ist ein endloses Suchen.
Erstaunen erregen ihre Farbstudien von 1976, große, puristische Farbreflexionen auf Fotopapier. Wie kam es dazu?
Dibbets: Die Großformate von 150 x 150 waren 1976 extrem teuer. Das Material kam von den Kodak-Studios aus New Jersey nach München eingeflogen. In München habe ich es auf dem Flughafen abgeholt, eine Rolle auf 25 Meter. So etwas war noch gar nicht im Handel. Und der Mann, der für mich alle Fotos druckt und mittlerweile mein Freund ist, baute eine Maschine, um diese Formate zu drucken. Am Ende des Jahres stellte ich aus, doch Kodak und der Galerist Castelli meinten, die Leute verstehen es nicht. Das sei unverkäuflich. Das könne ich vergessen. Ich hatte mein ganzes Geld, 175 000 Gulden in den Color Service investiert und bin eigentlich bankrott gegangen.
Was zeigen die Riesenfotos?
Dibbets: Die Reflexionen der Lackfarbe eines SAAB-Autos.
Würden Sie Ihre Kunst als Sehschule bezeichnen?
Dibbets: Fotografie handelt vom Sehen. Das ist das produktive Gucken des 21. Jahrhunderts. Der Fotograf muss sein Gerät herausfordern, Dinge zu tun, die noch kein anderer getan hat. Das ist die einzige Frage, die er sich stellen muss. Aber die stellt leider niemand. Schon Baudelaire schrieb, Fotografie sei nur erfunden für faule, einfache Leute, die zu dumm sind, um an der Akademie zu lernen. Zu dumm, um zu malen, zu dumm, um zu kapieren, was Kunst ist. Aber die sind alle damit glücklich, die sind alle kleine Großmeister. Ich bin sicher, dass es diese Dummheit auch in hundert Jahren noch gibt.
Letzte Frage: Sie waren 20 Jahre Professor in Düsseldorf. Warum haben die meisten Ihrer Studenten gemalt?
Dibbets: Erst malen lernen und dann denken. Denn wenn man denkt, kommt man zur Fotografie.