Kirche Kirche wirbt für Vertrauen und Vernunft

Die deutschen Bischöfe treten dem Skandalisieren und Schlechtreden der Gesellschaft entgegen und warnen vor Neiddebatten.

Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher (l.), und der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck bezogen am Dienstag Stellung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt.

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Bergisch Gladbach. Das Kardinal-Schulte-Haus liegt hoch oben über dem Bergisch Gladbacher Ortsteil Bensherg und öffnet den Blick ähnlich dem anderthalb Kilometer entfernten Schloss. Derzeit versuchen hier die deutschen Bischöfe den Überblick zu behalten — über ihre Kirche und die Gesellschaft, in der sie wirkt. Das Erzbistum Köln ist damit erstmals seit 2004 und 1991 wieder Gastgeber für die Frühjahrsvollversammlung.

Die Zukunft der Kirche hängt beispielsweise an der Frage, wie gemeindliches Leben angesichts des wachsenden Priestermangels neu organisiert werden kann. Damit befasst sich die Vollversammlung am Mittwoch. Die Zukunft der Gesellschaft hängt davon ab, wie der Zusammenhalt bewahrt werden kann. Für den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ist dabei die zentrale Frage: „Gibt es noch ein Vertrauen, das uns bindet?“

Die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland hatte im Januar mit Blick auf die AfD von „roten Linien“ gesprochen, die nicht überschritten werden dürften. Das Bild greift auch Overbeck wieder auf. Zu einer Wahlempfehlung gegen die Rechtspopulisten lassen sich aber weder er noch andere Vertreter der katholischen Kirche in Bensberg hinreißen.

Overbeck setzt lieber auf das indirekte Ausschlussverfahren. Rote Linien würden überschritten, wo die Würde der anderen nicht anerkannt und der Dialog verweigert werde. Ansonsten baut der Bischof auf die Kraft der Vernunft. „Wer den Populisten das Wasser abgraben will, muss ihre Themen ernst nehmen.“

Er sehe keine Alternative zur parlamentarischen Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft. Die wichtige Frage der sozialen Gerechtigkeit dürfe daher auch nicht zu einer „falschen Neiddebatte“ führen. „Wir müssen aufpassen, keinen Untergangsdiskurs zu führen, bei dem vor allem die Mitte der Gesellschaft den Eindruck gewinnt, es ginge ihr schlecht oder es drohe ihr bald schlechter zu gehen.“

Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes, grenzt sich daher von dem jüngsten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ab, wonach die Armut in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht habe. „Wir dürfen in keine Spirale der Skandalisierung geraten.“ Entsprechend müssten auch alle Vorschläge zur sozialen Gerechtigkeit darauf überprüft werden, „ob sie wirklich den Menschen am Rand dienen, den Langzeitarbeitslosen, die nicht in den Genuss von Arbeitslosengeld I kommen.“

Unterstützung erhält er vom Mainzer Sozialethiker Gerhard Kruip. Er sieht als einen Grund für die erodierende Solidarität eine wachsende Aufsplitterung der Öffentlichkeit in voneinander getrennte Kommunikationsräume, zwischen denen kein Austausch mehr stattfinde. Im Kampf um Aufmerksamkeit griffen Parteien, Verbände und Medien verstärkt zu extrem verkürzten und skandalorientierten Strategien. „So entsteht das Phänomen, dass wir eine Gesellschaft geworden sind, die sich selbst gegenüber massive Vorurteile pflegt, die sich für viel schlechter hält als sie ist und die eigenen positiven Potenziale kaum mehr sieht.“

Zusammenhalt der Gesellschaft, so Kruip, basiere nicht auf Homogenität. „Im Gegenteil, wer solche Homogenität durchzusetzen versucht, grenzt aus, diskriminiert, wertet ab und zerstört so den Zusammenhalt.“

In der Flüchtlingsdebatte bekräftigt Caritas-Präsident Neher die kirchliche Forderung nach einem Einwanderungsgesetz. „Das Asylrecht kann nicht für alle Probleme, die zur Flüchtlingsbewegungen führen, die Lösung sein. Es muss Verfolgten vorbehalten bleiben.“ Ein Einwanderungsgesetz sei nötig, um auch Menschen jenseits von Verfolgungsgründen einen Platz in der Gesellschaft zu ermöglichen.

Welche Rolle die Kirche in der aktuellen gesellschaftlichen Krise spielen soll, daran lässt Sozialethiker Kruip keinen Zweifel. Er verweist auf den Beschluss der Würzburger Synode in den 1970er Jahren im Nachklang zum Zweiten Vatikanischen Konzil: „Die Welt braucht keine Verdoppelung ihrer Hoffnungslosigkeit durch Religion; sie braucht und sucht (wenn überhaupt) das Gegengewicht, die Sprengkraft gelebter Hoffnung.“