Museum Schloss Morsbroich Kiste im Keller gefunden: Der wilde Sigmar Polke als Fotokünstler
Eine Ausstellung im Museum Schloss Morsbroich zeigt die anarchische Kunst des Weltstars aus der Dunkelkammer. Sie wurde in einer Kiste im Keller gefunden.
Leverkusen. Man sollte seinen Keller öfters aufräumen. Bei so einer Aktion entdeckte Georg Polke, Sohn des verstorbenen Künstlers Sigmar Polke (1941-2010), eine Kiste mit knapp tausend Fotografien aus den 1970er bis 1980er Jahren. Sie zeigen Papas Alternative zur Kunst von Bernd und Hilla Becher. Nicht die dokumentarischen Bilder mit Fachwerkhäusern und Industrie-Architektur, sondern die Lebensfreude der jungen Kunstszene im Rheinland. Polke, der spätere Weltstar, gab sich als 30-Jähriger gern als Klamaukbruder, der in Willich bei Düsseldorf die Kunst und mit ihr die Fotografie auf den Kopf stellte. Man sieht ihn, wie er einen Radi wie eine dicke Zigarre „raucht“, dann aber umdreht und isst. 500 undatierte und unsignierte Fotos aus dieser völlig unbekannten Schatztruhe werden im Museum Schloss Morsbroich gezeigt. Der Vater hatte die Kostbarkeiten 1978 beim Auszug aus dem niederrheinischen Gaspelshof dem Sohn überreicht.
Polke-Sohn Georg gab seinen Schatz demonstrativ an ein Haus, das gute Arbeit leistet, aber am seidenen Faden hängt, denn noch immer ist die Zukunft des Leverkusener Museums nicht in trockenen Tüchern.
Fotografie im Sinne von Sigmar Polke hat eher mit Anarchie als mit dem Abbild zu tun. In der Dunkelkammer stellte er die tollsten Dinge an, verwischte und bleichte, spielte mit Doppelbelichtungen und verband das Positiv mit dem Negativ. Hilla Becher, die so oft die Negative von Bernd abgezogen hat, wäre sicherlich empört über derlei Respektlosigkeit. Bei Polke musste niemand auf einem Hocker sitzen und unbewegt in die Kamera blicken, wie es der junge Thomas Ruff von seinen Kommilitonen verlangte, sondern hier wurde gejuxt und gealbert.
Die heutigen Performer müssten blank vor Neid sein, wenn sie diese Aktionen in den Aufnahmen betrachten. Polke räkelte sich in einer Schlangenhaut auf dem Fußboden und drohte gar, im Schaumbad unterzugehen.
Überall tauchen Freundinnen, Lebensgefährtinnen, Künstler und Künstlerinnen in diesen Inszenierungen auf, von Michael Buthe (mit komischem Aufputz) bis zu Blinky Palermo, Memphis Schulze und Katharina Sieverding. Katharina Schmidt, die begnadete Kuratorin, lacht in die Kamera. Immer spielte auch der Zufall bei dieser ausgelassenen Truppe eine Rolle, egal, ob in der Düsseldorfer Altstadt, im Atelier an der Kirchfeldstraße oder am Niederrhein..
Von 1972 bis 1978 war der Gaspelshof die Schaltstelle. Hier wurde die große Freiheit gefeiert, im Bild und in den Lebensformen. „His Hand is mine“, hatte Elvis Presley getönt, und danach richteten sich die kreativen Kumpels. Die Freunde stilisierten sich als schräge Horde, übertrieben im Foto, gaben sich als ausgelassene Dilettanten und flickten, schichteten, transformierten und reproduzierten wie die Teufel an ihren Bildern, mit Polke als Oberboss.
Die Ausstellung in Leverkusen beweist aber auch, dass es hier nicht nur um eine Spaßgesellschaft ging. Dazu war Polke viel zu klug und zu experimentierfreudig. Er revolutionierte die Fotografie durch Umkehreffekte, Überblendungen, Solarisationen, unvollendete Fixierungen und Silbernitrate, als wolle er mit changierenden Farben Bilder malen.
Regeln waren dazu da, um übertreten zu werden. Die Unschärfe war ihm gerade recht für seine Geisterbeschwörungen. Das Raster wurde nicht etwa wegretuschiert, sondern wie Pixel als grafisches Element eingesetzt, um etwa Werbeprospekte zu glossieren.
1972 zog er im Wahlkampf los und fotografierte, wenn ein Politikkopf gar zu dummes Zeug auf den Plakaten von sich gab. Verändern und Verwandeln, Inszenieren und Zurechtrücken, das war seine Methode, in der Kunst und im Leben. Dabei wurde er häufig vom Wunsch getrieben, nicht nur politische Versprechen zu unterminieren, sondern das gesamte Gehabe des Kunstmarkts zu glossieren..
Aber er konnte auch überhöhen. Die Edelprostituierte, Lady Shiva aus Zürich geriet bei ihm fast schon zur Lichterscheinung. Dann wieder vergrößerte er den Hintergrund des Goya-Bildes „Die Alten“ im Reprofoto und auf dem Kopierer so sehr, dass er mit dem hochkopierten Ausschnitt spielen konnte und seine eigenen „Vermutungszeichnungen“ entstehen ließ.
Auf der Biennale von Venedig, 1986, bespielte Polke den Deutschen Pavillon und sorgte für Furore, weil seine Wandarbeiten und Leinwandbilder, die er dem chemischen Prozess unterwarf, ihr eigenes Leben führten und sich im Laufe der Ausstellungszeit erheblich veränderten.
Der Künstler behauptete einmal, er habe in der Fotografie alle Fehler gemacht, die man nur hätte machen können. Das eben ist das Tolle. Damit gab er dem Abbild neue Impulse, die noch längst nicht genau ausgewertet sind. Gerade im Zeitalter der Digitalaufnahme ist es erfrischend zu sehen, was man mit Farblachen, Klecksen, falsch vertauschten Vor- und Hintergründen im Negativ alles anstellen kann. Auch hier hat Polke die Kunstgeschichte aus ihrem Gleichgewicht gerückt.