Schalke niedergebrannt So war das Rammstein-Konzert in Gelsenkirchen
Gelsenkirchen · Darf's noch ein bisschen mehr sein? Die Pyro-Rocker melden sich bei dem Auftakt ihrer Europa-Tournee im Ruhrgebiet zurück. Größer, lauter, heiter.
Rammstein haben ein Monster mitgebracht. Die gigantische Bühne in der Schalke-Arena zeigt sich beim Auftaktkonzert der ersten Europa-Stadion-Tournee der Band als wandlungsfähiges Biest. Manchmal spuckt es in alle Richtungen Feuer wie ein Drache im Todeskampf, ein anderes Mal hängen rote Banner von der Schauergestalt und inszenieren die sechs Rocker als Herrscher einer dystopischen Diktatur. Schon im zweiten Song des Abends "Links 2,3,4" fordert das Monster das ausverkaufte Stadion über die Leinwand auf, im Takt der wummernden Gitarren zu marschieren. Sensible Gemüter, sollten sie sich denn in das martialische Rock-Getöse verirrt haben, könnten sich an dieser Stelle die bei Rammstein beliebte Frage stellen, ob das denn nicht "zu viel" ist. Ja, es ist viel zu viel. Und deshalb funktioniert es.
Die Fans sind schließlich nicht für weniger als ein Spektakel mit viel Feuer, Fleisch und augenzwinkernden Grenzüberschreitungen gekommen. Und Rammstein versuchen im Jahr 2019 einen Regler, der schon seit Jahren auf Anschlag steht, noch ein paar Grad weiter zu drehen. So dröhnt beispielsweise der Bass bei den harten Riffs von Rammstein-Klassikern wie "Heirate mich" oder neuem Liedgut wie "Sex" oder "Tattoo" so unverschämt laut durch die Halle, dass jeder Schalensitz im Stadion zum Massage-Stuhl wird. Und weil Bescheidenheit nicht das Motto des Abends ist, reicht auch schon längst kein einfacher Flammenwerfer mehr, um Keyboarder "Flake" mitten auf der Bühne in einem riesigen Kochtopf zu erhitzen. Sänger Till Lindemann, der sich schon seit Jahren immer neue Strafen für das schmächtigste Bandmitglied ausdenkt, greift nach ein paar Feuersalven direkt zu einer Feuerkanone auf Rädern und grillt das Männchen so lange zum Kannibalen-Lied "Mein Teil", bis es die weiße Fahne schwenkt.
Eine Rammstein-Show, so wie sie in den nächsten Wochen und Tagen noch in München, Berlin, Barcelona und Paris zu erleben sein wird, ist hoch durchchoreografiertes Theater. "Performer" nennt man Rockstars manchmal, weil sie so energisch ihre Gitarre bearbeiten. Aber gerade Antreiber Till Lindemann versteht unter "Performance" etwas anderes. Wenn er in "Mein Herz brennt" davon singt, wie Dämonen aus dem Kellerschacht kriechen, dann kriecht er eben.
Gerade deshalb waren die Fans auch so gespannt auf die erste neue Show. Denn das neue unbenannte Album der Band ist nur eine Seite der Rammstein-Medaille. Beim Hören von Liedern wie "Puppe" der neuen Platte geht zwangsläufig das Kopfkino an. Was passiert da auf der Bühne? Nun, wer gedacht hat, dass Till Lindemann das lyrische Versprechen "Und dann beiß' ich der Puppe den Kopf ab" mit einer kleinen Stofffigur umsetzt, der hat nicht mit dem Rammstein-Multiplikator gerechnet. So schiebt der Sänger einen riesigen Kinderwagen auf die Bühne, der ihn selbst wie einen Fünfjährigen erscheinen lässt. Darin ein Baby mit Horrorfratze. Und natürlich steht irgendwann der Kinderwagen in Flammen und (weniger natürlich) spuckt das verkohlte Monstrum zum Finale schwarzes Konfetti in die Menge.
Rammstein kann aber auch leise ganz gut. Nach einer kurzen Pause tauchen die Bandmitglieder auf einem Bühnenturm mitten im Stadion auf und wechseln mit einer Klavier-Version von "Engel" die Stimmung, während im Stadion Feuerzeuge und Handydisplays geschwenkt werden. Zurück auf die Bühne geht es mit dem Schlauchboot und zwar auf der schnellsten Route auf Armen über das Menschenmeer. Kein Zufall dürfte es sein, dass unmittelbar nach der Überfahrt das Lied "Ausländer" angestimmt wird. Um Flüchtlinge geht es in dem Text allerdings überhaupt nicht. Eher um die hämische Freude der Musiker, ein halbes Fußballstadion dazu zu bringen die Textzeile "Ich bin Ausländer" zu singen. Nach mehr als zwei Stunden wanken hörgeschädigte, verrauchte und eingeschäumte Menschen mit Konfetti in den Haaren aus der Arena. Also ein guter Abend.