Kritik am Umgang mit der Sprache Wir buchstabieren noch wie die Nazis

Düsseldorf · „N wie Nordpol“ statt „N wie Nathan“ gilt seit 1934. Die Debatte über den Umgang mit unserer sprachlichen Historie könnte das ändern.

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Wir kennen das vom Telefonieren im Büro. Irgendwann im Gespräch geht es um eine Mailadresse, an die etwas geschickt werden soll. „A wie Anton“, „B wie Berta“ oder „C wie Cäsar“ heißt es dann, um Verwechslungen auszuschließen. Ohne das Buchstabieren kommen wir bisweilen nicht klar, weil Dienste wie WhatsApp im Arbeitsalltag die E-Mail noch nicht verdrängt haben.

Wie fast alles hierzulande ist auch die Sache mit dem Buchstabieren in einer Norm geregelt, der DIN 5009. Als Grundlage für diese Norm dient die aus dem Berliner Telefonbuch von 1890 stammende postalische Buchstabentafel, später Buchstabiertafel genannt.

Und die hat 1934 eine „Säuberung“ erfahren. Unter der Nazi-Herrschaft waren besonders biblische Namen unerwünscht, weil sie als jüdisch aufgefasst und deshalb „arisiert“ wurden. Statt David hieß es nun Dora, statt Jacob Jot, aus Nathan wurde Nordpol, aus Samuel Siegfried und aus Zacharias Zeppelin.

Dass es bei dieser „Reinigung“ nicht nur um Antisemitismus ging, zeigt der Umgang mit dem Buchstaben Y: Statt „Y wie Ypsilon“ hieß es nun „Y wie Ypern“. Der belgische Ort, an dem deutsche Soldaten 1915 im Ersten Weltkrieg erstmals Giftgas einsetzten. Aus Sicht der Nationalsozialisten eine Heldentat, die sich bestens für Propagandazwecke nutzen ließ.

Änderungen der Buchstabiertafel im Laufe der Jahre

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Initiative von unten – eine Denunziation aus dem Volk

Die Vorstoß zur „Arisierung“ der Buchstabiertafel kam allerdings nicht von oben, sondern von unten – eine Denunziation aus dem Volk. Es begann mit einer Postkarte, die im März 1933 beim Postamt Rostock eintraf. Ihr Text, verfasst von einem gewissen Joh. Schliemann: „In Anbetracht des nationalen Umschwungs in Deutschland halte ich es für nicht angebracht, die in der Buchstabiertabelle des Telefonbuchs aufgeführten jüdischen Namen wie David, Nathan, Samuel etc. noch länger beizubehalten. Ich nehme an, dass sich geeignete deutsche Namen finden lassen. Ich hoffe, in der nächsten Ausgabe des Telefonbuchs meinen Vorschlag berücksichtigt zu sehen.“

Schliemanns Vorschlag fand großen Beifall. In einem Schreiben der Oberpostdirektion in Schwerin an die Regierung in Berlin hieß es: „Nachdem die nationale Bewegung zum Durchbruch allgemein gekommen ist, die sich zum Ziel gesetzt hat, den jüdischen Einfluss auf das deutsche Volk herabzumindern, mag es manchen nationalen Kreisen eine Überwindung kosten, bei der Verdeutlichung eines Wortes jüdische Namen anwenden zu sollen.“

Die Veränderungen gingen viel weiter als vorgeschlagen

1934 erschien das neue Berliner Telefonbuch. Und die Veränderungen gingen viel weiter als von Schliemann angeregt. Nicht nur Dora, Jot, Nordpol, Siegfried und Zeppelin ersetzten die jüdischen Namen. Auch Katharina wurde durch Kurfürst ersetzt, Albert durch Anton und die Kurzform Fritz trat an die Stelle des eigentlich unverdächtigen Friedrich. Erstaunliches tat sich beim „Ü“. Aus dem Überfluss der Weimarer Zeit wurde 1934 – unfreiwillig passend – ein Übel (siehe Grafik).

1948 folgt die Entnazifizierung der Buchstabiertafel. Geholfen hat das nicht immer. Denn bis heute buchstabieren wir in Deutschland nationalsozialistisch. Nach wie vor sagen wir „S wie Siegfried“ und „Z wie Zeppelin“, obwohl die Empfehlung in DIN 5009 anders lautet.

Im nächsten Jahr wird die Buchstabiertafel überprüft

Aber die Norm hält auch in einigen Fällen an den Vorgaben der Nazis fest. Das will Michael Blume, der  baden-württembergische Beauftragte gegen Antisemitismus, nicht hinnehmen. Statt „N wie Nordpol“ müsse in der DIN 5009 wieder Nathan stehen, fordert er in einem Brief an das Deutsche Institut für Normung in Berlin. Denn Nordpol stehe in der pseudowissenschaftlichen NS-Ideologie für die Herkunft sogenannter Arier. Für den Buchstaben „D“ schlägt Blume statt David den Namen Debora vor, wegen der Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Der Zentralrat der Juden begrüßt den Vorschlag Blumes: „Zum 75. Jahrestag der Befreiung sollten wir uns auch von der Nazi-Sprache und ihren Relikten befreien“, sagt Präsident Josef Schuster.

Und tatsächlich bewegt sich etwas. Wie das Deutsche Institut für Normung in Berlin auf Nachfrage dieser Zeitung mitteilt, wird im nächsten Jahr eine Überarbeitung der Buchstabiertafel stattfinden. Zuständig dafür ist ein Ausschuss mit 15 externen Experten, unter anderem aus den Bereichen Bildung und Ausbildung.