Deutscher Pavillon wird Schlingensief-Gedenkstätte
Berlin/Frankfurt/Venedig (dpa) - Als der schon schwer krebskranke Film- und Theatermacher Christoph Schlingensief im vergangenen Mai zur Gestaltung des Deutschen Pavillons bei der Biennale in Venedig eingeladen wurde, galt das als Sensation.
Drei Monate später starb Schlingensief. Dennoch repräsentiert er nun Deutschland bei der im Juni startenden Kunstschau in Italien. Nur gibt es jetzt eine Ausstellung über ihn statt von ihm - eine posthume Verneigung vor dem Ausnahmekünstler.
Susanne Gaensheimer, die Kuratorin des Deutschen Pavillons, erklärte am Donnerstag ihr Konzept für die mit Spannung erwartete Schau. Ausgewählte frühere Projekte sollen nun einen Einblick in das vielschichtige Oeuvre des Multimedia-Künstlers geben. „Sein Werk ist so stark - es ist es wert, auch international gezeigt und wahrgenommen zu werden“, sagte Gaensheimer mit einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Im Hauptraum des Pavillons wird eine Rauminstallation wieder aufgebaut, die in gewisser Weise als eine Quintessenz seines kurzen, leidenschaftlichen Lebens gelten kann: Das szenische Oratorium „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ hatte bei der Ruhrtriennale 2008 für Aufsehen gesorgt. Der damals als geheilt geltende Krebspatient setzte sich in dem Stück schonungslos offen mit seinen Leiderfahrungen und den letzten Fragen des Lebens auseinander.
Schlingensief hatte dafür eine Theaterhalle in eine Kirche verwandelt. Auf Videoflächen flimmerten alte Doppel-8-Filme aus seinen Kindertagen, der Kunstrichtung „Fluxus“ nahestehende Performances und eigenes Filmmaterial. Auch der verwesende Hase aus seiner Bayreuther Inszenierung des „Parsifal“ war dabei und eine „narkotische“ Musikmischung aus Wagner, Mahler und Bach. Für ihn selbst sei das Werk wie eine „Stunde Null“, sagte der große Provokateur damals selbst.
Zweiter Schwerpunkt in Venedig wird das große Herzensanliegen Schlingensiefs sein - sein „Operndorf“ in Burkina Faso. In dem kleinen westafrikanischen Staat soll ein lebendiges Kunstzentrum entstehen mit Festspielhaus, Künstlerwerkstätten, Krankenstation, Wohnungen und vor allem einer Schule. Anfang 2010 war der Grundstein gelegt worden, der preisgekrönte afrikanische Architekt Francis Kéré übernahm die Planung. Nach Schlingensiefs Tod schien die Zukunft des Mammutprojekts zunächst ungewiss. Doch im Februar kündigte ein hochkarätiges Unterstützergremium an, die Arbeit fortzuführen.
Bei der Biennale (4. Juni bis 27. November) soll über Einzelheiten des Projekts informiert werden, auch mit vielen Materialien von Schlingensief selbst. Zudem ist im Deutschen Pavillon ein Kino geplant, das durchgehend sechs wichtige Filme von ihm zeigt - von „Menu Total“ (1985/86) über „Das deutsche Kettensägenmassaker“ (1990) bis zu „United Trash“ (1995/96).
Ursprünglich hatte es Überlegungen gegeben, den Pavillon nach den bereits von Schlingensief entwickelten Plänen zu gestalten. Selbst überrascht von seiner Berufung („eine große Freude, aber auch eine schwere Last“), hatte er in seiner überbordenden Kreativität längst angefangen, Konzepte zu entwerfen. Gaensheimer entschied sich im Gespräch mit Schlingensiefs um 20 Jahre jüngerer Witwe Aino Laberenz und anderen engen Vertrauten jedoch gegen diese Lösung. „Es geht nicht, etwas zu Ende zu führen, was nicht zu Ende war“, sagt sie.
Begleitend zu der Ausstellung erscheint am 1. Juni ein Buch, in dem Freunde und Weggefährten dem großen Theatermann die letzte Ehre erweisen. Zu den Autoren gehören Frank Casdorf, Diedrich Diederichsen, Elfriede Jelinek, Alexander Kluge und Frank-Walter Steinmeier. Als Motto hat Herausgeberin Gaensheimer Schlingensiefs Satz gewählt: „Am Ende will ich sicher sein können, dass meine Arbeit einen sozialen Gedanken hat.“