Kunst kommt von Klecksen

Köln (dpa) - Kleckse sind ärgerlich. Das wissen viele noch aus der Schulzeit, als sie mit Füller und Tintenpatrone hantierten.

Aber auch Michelangelo musste das erfahren, als er 1510 die Decke der Sixtinischen Kapelle ausmalte. Dabei tropfte ihm von oben so viel nasse Farbe in sein Gesicht und seinen Bart, dass er abends aussah wie ein Clown. „Die Kleckserei macht mir aus dem Gesicht ein Mosaik“, schimpfte er. Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum widmet dem Klecks in der Kunst nun eine kleine Ausstellung.

„Die Klecksographie“ nennt Thomas Ketelsen, Leiter der Grafischen Sammlung, seine Übersicht von 25 Zeichnungen. Eine Arbeit von Michelangelo ist nicht mit dabei, hätte aber auch nicht gepasst, denn es gibt von ihm keine Zeichnung mit Klecksen. So ein Malheur passierte ihm einfach nicht. Und anderen Künstlern auch nicht. „Ich habe alle Zeichnungen des 16. und 17. Jahrhunderts in unserem Bestand durchgesehen, das sind so an die 3000“, erzählt Ketelsen. Das Ergebnis: Kein einziger Klecks! Den Umgang mit Feder und Tinte lernte man damals wohl so früh wie heute das Bedienen von Smartphones.

Dass Zufallsformen wie Kleckse die Fantasie anregen können, wusste man aber durchaus. Kein Geringerer als Leonardo da Vinci (1452-1519) hat das Phänomen beschrieben, nur nicht am Beispiel von Klecksen, sondern am Beispiel von Mauerflecken. „Ich habe an den Mauern schon Flecken gesehen, die mich zu schönen Erfindungen verschiedenster Dinge anregten“, berichtete er. Ein Kind, das sich heute in die Struktur einer Raufasertapete vertieft und erzählt, welche Figuren es in der körnigen Oberfläche erkennt, steht in diesem Sinne ganz in der Tradition von Leonardo da Vinci.

Gut, aber wann kommen jetzt endlich die Kleckse? Im 19. Jahrhundert. Da nahmen manche Künstler einen Klecks als Ausgangspunkt für ein Bild. Künstler teilen mit Dichtern die Angst vor dem leeren Blatt Papier, und mit einem Klecks ist wenigstens schon mal was drauf. Frei nach dem Motto „Kunst kommt von Klecksen“ kann man sich davon anregen lassen. So zeigt die Ausstellung eine Arbeit eines unbekannten Künstlers, der in die Ausbuchtungen eines Kleckses Profilgesichter gezeichnet hat. Das ergibt ein reizvolles Bild, das man drehen muss, um alle Köpfe richtig zu erkennen.

Der Maler Wilhelm von Kaulbach (1805-1874) und zwei seiner Mitarbeiter verschütteten nach der Devise „Kleckern statt Klecksen“ bei ihren „gemüthlichen Plauderstunden“ tassenweise Kaffee. Das Ergebnis ist eine Mappe mit 138 humoristischen Zeichnungen, die alle aus dem Formgespinst eines Kaffeeflecks hervorgegangen sind.

Ganz und gar auf Tintenkleckse spezialisiert war Justinus Kerner (1786-1862), ein spukgläubiger Arzt, der allen Ernstes davon überzeugt war, dass ihm beim Klecksen Geister aus dem Jenseits die Hand führten. Kerner entwickelte das Verfahren des Klappdrucks, bis heute sehr beliebt bei Kunstlehrern. Man faltet ein Blatt Papier in der Mitte, macht einen Klecks auf die eine Seite, möglichst nah an der Knick-Kante, und klappt dann beide Seiten aufeinander, so dass sich der Klecks auf der Gegenseite abdrückt. Dadurch entsteht eine symmetrische Gestalt. An dieser Stelle mag sich der eine oder andere Besucher sagen: „Das kann ich auch!“ Und ja, warum nicht? Am Besten mal ausprobieren - bald kommen ja wieder die dunklen Herbstabende.