Max Ernst: Das Genie schaut das Grauen
Nach 72 Jahren werden Grafikcollagen von Max Ernst in der restaurierten Wiener Albertina gezeigt.
Wien. Eine Frau, noch im Mieder, wird kopfüber aus dem Fenster gestürzt. Im Gebirge lagern Gerippe, Totenköpfe, Gefesselte, Entschlafene, Gemeuchelte. Wir sehen Prunksäle wie die der Albertina in Wien, wo auf silbernen Schalen Kalbsköpfe serviert werde, über denen sich anmutig und appetitlich der Bratendampf kräuselt. An die Türen schlichter Stuben klopft ein Kosak an. Im Zyklus "Auf den Osterinseln" hausen die Menschen in numerierten Gedärmen. Eine von riesigen Hähnen mit steil aufgerichteten Kämmen und aufgesperrten wilden Schnäbeln vermutlich geschändete Frau liegt leblos darnieder; zuvor haben sich Schlange und Schwan ein Stelldichein gegeben. Männer in ordensgeschmückter Uniform tragen Löwenhäupter, Allongeperücken, gefiederte Schwingen oder leben in Frauenleibern. Das sind Blätter aus Max Ernsts "Une semaine de bonté. Ein surrealistischer Roman. Eine Woche der Güte, Liebe und Menschlichkeit."
Max Ernst hat den mit dem Sonntag beginnenden und mit Samstag endenden Feuilleton-Bildroman 1933 fertiggestellt; 1936 wurden die Graphiken erstmals in Madrid gezeigt, danach 72 Jahre lang nie wieder. Wir verdanken es Werner Spies, der mit Max Ernst befreundet war und ihn noch über diesen Zyklus befragen konnte, dass die aufsehenerregenden Originale nach so langer Zeit endlich zu sehen sind.