Porträt: Thomas Struths Paradiese
Einer der berühmtesten Foto-Künstler der Welt sucht im Alltag nach zeitlosen Bildern.
Düsseldorf. Thomas Struth (55) ist einer der drei Struffkys, neben Andreas Gursky und Thomas Ruff. Das heißt, seine Fotokunst gilt als Weltspitze.
Seine Retrospektive führt im nächsten Jahr über Zürich und Düsseldorf (K20) nach London und Porto. Wir besuchten den eher scheuen Künstler in seinem neuen Großraum-Atelier in Düsseldorf, wo er sich erstmals zu seiner Kunst äußerte.
Was Struths Bilder so berühmt macht, ist die Aura, die er in alltäglichen Motiven entdeckt. Schon als Student zog er mit der Kamera durch den wenig aufregenden Stadtteil Düsseldorf-Bilk und brachte Straßenbilder zur Ansicht, die von einer entrückenden Schönheit zeugen.
Das gilt erst recht für seine Urwald-Bilder. Die Antwort auf die Frage, wie er dies mache, kommt unerwartet: "Ich beobachte genau und wähle aus. Ich habe 280 bis 300 Straßenbilder in Düsseldorf gemacht, von denen ich fünf oder sechs genommen habe. Ich wollte etwas Beispielhaftes der deutschen Nachkriegs-Architektur haben." Die belanglosen Häuserschluchten scheinen bei ihm von Melancholie durchzogen zu sein.
Im Gespräch erinnert er sich an seine Kindheit. Mit 14 Jahren sei er im Museum Ludwig gewesen: "Ich war fasziniert von Werken, die ich heute als zeitlos bezeichnen würde. Auf meinen Fotos ist immer auch die Vergangenheit da. Obwohl die Straßenfotos 30 Jahre alt sind, sind sie nicht veraltet. Architektur ist von Menschen gedacht und gefühlt. Architekturfotos sind Erinnerungsräume."
Seit 1999 fotografiert er Urwälder, wobei sich die Pflanzenwelt in unendlich viele Bildschichten aufzulösen scheint. Das Auge gleitet von einem Raum in den nächsten. Dieses "immer wieder Weiter-Gucken", wie Struth es nennt, ist beispielhaft für seine Serie, die er als "Paradies" bezeichnet.
Er erklärt: "Ich fing damit vor der Jahrtausendwende an. Es war die Zeit nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch des alten Systems. Ich fragte mich, wie geht es eigentlich weiter im nächsten Jahrhundert? Auf meinen Bildern gibt es kein Auto, keine Häuser, keine Menschen, sondern nur Dschungel. Man ist quasi allein mit den Blättern und den Strukturen und dem Grün. Und man hat den Raum."
Auf Ausstellungen in New York und Dallas beobachtete er die Wirkung der Fotos auf die Besucher: "Es war eine besondere, meditative Ruhe da. Das hat damit zu tun, dass man das Gefühl hat, man sei mit sich allein. Wenn ich an den Dschungel denke, denke ich auch an den Sauerstoff, den es nicht mehr gibt, wenn das Holz gefällt ist."
Von 1991 bis 1993 war Struth durch "Blumenporträts" aufgefallen, die jahrzehntelang als spießig und kitschig galten. Er sollte für das Lindberg-Spital in Winterthur in jedem der 37 Krankenzimmer am Kopfende des Bettes eine Blume oder einen Zweig und für die gegenüberliegende Seite ein großformatiges Landschaftsbild aus der Umgebung zeigen.
Der Patient sollte sich im Bild ergehen und seine Gemütsruhe finden. Struth wollte ein Gegengewicht zur Gemütsverfassung eines Kranken geben. "Die Aufmerksamkeit eines Patienten ist in Alarmbereitschaft. Das Normale wird dramatisch bewertet oder überbewertet. In der Sinnlichkeit und Ausstrahlung der Blumen kehrt die Balance zurück."
Ob Stadtlandschaften, Familienporträts oder Pflanzen - Struths Fotos zeugen von Anteilnahme und Hingabe. "Ich kann nur etwas machen, wenn ich begeistert bin. Begeistern ist ein schönes Wort, denn da steckt der Geist drin. Das ist ganz wichtig. Geist, Spirit."