Requiem für Schlingensief
Der deutsche Pavillon in Venedig entschärft den zu Lebzeiten provokanten Künstler.
Venedig. Der deutsche Pavillon auf der Biennale in Venedig erregte stets besondere Aufmerksamkeit, denn hier arbeiteten sich Künstler an dessen Nazi-Vergangenheit ab. 1978 schuf Joseph Beuys mit der „Straßenbahnhaltestelle“ ein Antikriegsdenkmal. Hans Haacke zerschlug 1993 den Boden und hängte ein riesiges Markstück auf. Gregor Schneider baute 2001 sein Rheydter Wohnhaus hinein. Jetzt wird dieser stattliche Bau am Canal Grande zum Requiem auf das Genie des toten Christoph Schlingensief (1960-2010).
Vier Monate nach seiner Nominierung ist der Theater- und Filmemacher gestorben, seine Witwe Aino Laberenz und die Kuratorin Susanne Gaensheimer haben den Pavillon nun gestaltet. Schlingensiefs Stimme ist nun als Endlosband im Eingang zum Kinosaal zu hören. Dort laufen sechs seiner Filme, darunter das „Deutsche Kettensägenmassaker“ als Persiflage auf die Wiedervereinigung und „100 Tage Hitler“. Doch der Bilderstürmer, der in bester Beuys-Manier die Kunst ins Leben überführte, wird hier wie in einer Kathedrale zur letzten Ruhe gebettet.
Zu Lebzeiten wollte er den Pavillon in ein afrikanisches Wellness-Zentrum verwandeln, in dem das Badewasser die Besucher geschwärzt hätte — sein Kommentar zum Kolonialismus. Nun wird der Haupt- zum Altarraum mit den Kulissen aus dem Oratorium „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“, mit dem er seine Krebs-Erkrankung verarbeiten wollte. Das Publikum sitzt brav auf den Kirchenbänken, ewiges Licht flackert an den Wänden. Die sieben Stufen zum Altar, auf denen 2008 die Akteure bei der Ruhrtriennale herumsprangen, sind allerdings gesperrt.
„Ich bin autonom“, flimmert als Schrift zwischen Szenen der Oratoriums-Aufführung über einen Monitor — Schlingensiefs lebenslanges Leitmotiv. Nichts und niemand sollte ihn vereinnahmen. „Ich merke, wie gern ich lebe“, ist zu hören. Oder: „Ich wäre sautraurig, wenn ich gehen müsste.“
Das Sterbenlernen war sein letztes großes Projekt. Joseph Beuys hat es bei den Symbolen belassen, Christoph Schlingensief lebte in ihnen bis zu seinem Ende. Und damit dies auch jeder weiß, werden seine kranken Lungen in Röntgenaufnahmen und sein Krankenbett gezeigt.
Das gewaltige Schlingensief-Lachen aber, das selbst aus seinem Krankenzimmer erschallte, ist verstummt. Nur in seinem Operndorf im afrikanischen Burkina Faso lebt seine Liebeserklärung an diese Welt weiter — das Projekt wird in einem Flügel des Pavillons dokumentiert.
Die Kunstbiennale in Venedig: 31 der 83 Nationen-Pavillons liegen in den Giardini (Gärten). Die übrigen sind in Kirchen und Kulturinstituten der Stadt untergebracht. Die Biennale läuft vom 4. Juni bis 27. November, Di bis So 10 — 18 Uhr. Eintritt 20 Euro.