Retrospektive zu Meret Oppenheim in Berlin
Berlin (dpa) - Eine Teetasse in Pelz, ein an der Spitze verschmolzenes Paar Stiefel, feine Handschuhe mit Krallenfingern - Meret Oppenheim (1913-1985) hat zusammengeführt, was nicht zueinander passte.
Ob in der Malerei oder als Designerin - die Deutsch-Schweizerin wurde mit Fantasie, schrägem Witz und eigener Traumdeutung eine der zentralen Künstlerinnen des Surrealismus.
Zum 100. Geburtstag Oppenheims blickt erstmals eine Retrospektive in der Heimatstadt Berlin von diesem Freitag an (bis 1. Dezember) auf ein Werk, das erst auf Umwegen seinen Platz zwischen der Avantgarde der Dreißiger und den experimentierfreudigen Siebzigern fand.
Denn Oppenheim wurde zunächst nicht als Künstlerin wahrgenommen, sondern als „Femme fatale und Kindfrau“, wie Kuratorin Heike Eipeldauer am Donnerstag im Martin-Gropius-Bau sagte. Die Liebesbeziehung zum Maler Max Ernst, die Freundschaft mit dem Dichter André Breton oder der Auftritt als Nacktmodel des Fotografen Man Ray prägten über Jahrzehnte die Wahrnehmung Oppenheims und erschwerten den Zugang zu ihrem eklektischen Schaffen.
Rays Schwarz-Weiß-Bild, auf dem sie sich hinter einer Druckerpresse zeigt, wurde zu einer Ikone des Surrealismus, Oppenheim damit zur Vorzeigemuse.
Nachdem sie mit 17 beschlossen hatte, Künstlerin zu werden, musste Oppenheim sich immer wieder gegen Widerstände behaupten. Ihr Vater, ein jüdischer Arzt, der sich auf der Flucht vor den Nazis mit der Familie in die Schweiz abgesetzt hatte, suchte Rat bei einem Kollegen für die allzu unabhängige Tochter. Nach einer Sitzung mit Meret bescheinigte der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung der jungen Frau, ihr Fall sei wohl nicht „allzu schlimm“, den „heftigen Zusammenstoß mit der Welt“ werde sie wohl unversehrt überstehen.
Die Freiheit, schreibt Meret in ihr Tagebuch, das sie seit dem 14. Lebensjahr führte, bekomme man nicht geschenkt, „man muss sie sich nehmen“. Sie zog nach Paris und wurde in den Kreis der Surrealisten eingeführt.
Es sei ein ambivalentes Verhältnis zur Künstlergruppe gewesen, sagte Kuratorin Eipeldauer. Meret wurde angesteckt von der Experimentierfreude der Surrealisten und ihrem revolutionären Kunstverständnis, teilte aber nicht deren allzu starres Frauenbild. Sichtbar wird das in ihren erotischen Kunstobjekten, in denen Oppenheim Stoff und Pelz verarbeitet. Dem kühl-sezierenden Blick der Surrealisten setzt sie eine sinnliche Wahrnehmung entgegen.
Die „Pelztasse“, die 1936 aus einem Einfall bei einem Gespräch in einem Pariser Café mit Pablo Picasso und seiner Geliebten Dora Maar entstand, wird Oppenheims bekanntestes Objekt und gehört heute zur Sammlung des Museum of Modern Art in New York.
Auch aus Jungs Traumdeutung mit seinen Bildern aus dem Unbewussten schöpfte Oppenheim ästhetische Mittel. Wolkenbilder, schwebende Selbstbildnisse, Engelsgestalten entstehen als Versuch einer persönlichen Findung. Es ist wohl diese Suche, die Oppenheim zum Feminismus führt.
Aus einer fast 20-jährigen Schaffenskrise erholte sie sich erst Mitte der 50er Jahre. Oppenheim wurde Teil der Berner Kunstszene, entwarf Masken und Kostüme, etwa für Daniel Spoerris Inszenierung von Picassos Drama „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“. 1967 gab es die erste große Werkschau Oppenheims in Stockholm.
Viele Werke wurden seit Jahren nicht mehr öffentlich gezeigt und sind nun wieder in Berlin zu sehen. Zu den 200 Ausstellungsstücken gehören Leihgaben unter anderem aus dem Kunstmuseum Bern, sowie aus Privatsammlungen, etwa des Popstars David Bowie und des niederländischen Sammlers Sylvio Perlstein.