Müngstener Brücke: Vom Wahrzeichen zum Kulturerbe
Einmal ist der Versuch schon gescheitert, mit der Müngstener Brücke auf die Unesco-Liste zu gelangen. Zum 120-jährigen Bestehen nimmt die Region einen zweiten Anlauf.
Solingen/Remscheid. Karl Heinz Humpert war gerade am Comer See und hatte Zeit zum Nachdenken. Dann griff der Vorsitzende der Remscheider CDU-Ratsfraktion zum Telefon und am nächsten Tag war sein Vorschlag im Remscheider General-Anzeiger zu lesen: die Müngstener Brücke als Unesco-Weltkulturerbe eintragen zu lassen. Man schrieb das Jahr 2006 und als passenden Anlass für die Adelung des bergischen Wahrzeichens benannte Humpert die 120-Jahr-Feier der Brücke im Jahr 2017.
Inzwischen ist das Jubiläumsjahr erreicht und die virtuose Stahlkonstruktion über dem Tal der Wupper hat das erste Scheitern auf dem Weg zum Weltkulturerbe schon lange hinter sich. 2012 war der Vorstoß der von Remscheid, Solingen und Wuppertal über die Bergische Entwicklungsagentur betriebenen Eintragung direkt auf Landesebene abgewiesen worden. Aus Sicht der Jury hatte die Bewerbung der Brücke als Einzelbauwerk keine Erfolgschancen. Aber die Juroren des NRW-Bauminsteriums gaben den Bergischen noch einen Tipp mit auf den Weg: eine gemeinsame Nominierung mit vergleichbaren Bauwerken anzumelden.
Carsten Zimmermann war damals Projektleiter und ist es heute noch. Und der Mitarbeiter der Stadt Solingen blickt inzwischen mit großer Spannung auf den 27. und 28. Oktober voraus. Dann soll das Jubiläum von Deutschlands höchster Eisenbahnbrücke mit einem Brückenfest gefeiert werden — und mit einem zweitägigen Fachkongress im Haus Müngsten. Der versammelt Fachleute aus ganz Europa; auch ein anschließender Tagungsband ist geplant. Für Zimmermann ist das dort gesammelte Expertenwissen „eine gute fachliche Grundlage, um darauf eine Bewerbung aufzusetzen“.
Denn das neue Ziel heißt „serielle transnationale Bewerbung“. Dahinter verbirgt sich ein Gemeinschaftsvorstoß, der die Brücke in Müngsten sowie die Ponte Maira Pia und die Ponte Dom Luis I. in Portugal, das Garabit-Viadukt in Frankreich sowie die Ponte San Michele in Italien miteinander verbindet. Das bergische Städtedreieck sei für die Idee bereits gewonnen, sagt Zimmermann. Jetzt geht es im Herbst darum, das europäische Bündnis zu festigen und sich gemeinsam auf den Weg zu machen — einen langen Weg, denn alle Brücken müssen es auf die Vorschlagsliste ihrer jeweiligen Staaten schaffen.
Besondere Hoffnung schöpft Zimmermann aus dem Umstand, dass mit den deutschen Nationalkomitees von Icomos und TICCIH gleich zwei Beraterorganisationen der Unesco Mitveranstalter des Kongresses sind. Die seit 1972 von der Unesco geführte Liste des Welterbes umfasst derzeit 1073 Stätten in 167 Ländern. Allerdings ist die von der Kultusministerkonferenz verabschiedete aktuelle deutsche Vorschlagsliste für Neuaufnahmen noch nicht abgearbeitet. Im neuen NRW-Heimatministerium rechnet man daher nicht vor 2022/2023 mit der Aufstellung einer neuen Liste.
Das Vorhaben wird nicht einfacher dadurch, dass der Flaschenhals der Zulassung enger wird. „Momentan darf jeder Vertragsstaat höchstens zwei Nominierungen pro Jahr einreichen, wovon mindestens eine Nominierung eine Naturerbestätte oder eine Kulturlandschaft sein muss. Ab 2019 ist nur noch eine Nominierung möglich“, sagt Katja Römer, Sprecherin der Deutschen Unesco-Kommission.
Im NRW-Heimatministerium ist man trotzdem angesichts der geplanten Gemeinschaftsbewerbung vorsichtig optimistisch: „Die Erfahrung zeigt, dass auf diesem Wege für einzelne Objekte eine höhere Chance besteht als bei einer isolierten Bewerbung“, sagt Sprecher Christoph Meinerz.
Und Projektleiter Zimmermann ist vom zweiten Anlauf restlos überzeugt: „Die Müngstener Brücke ist für mich eine Ikone des Industriezeitalters und ein Meilenstein in der Entwicklung der europäischen Bautechnik. Für mich besteht gar kein Zweifel daran, dass die Müngstener Brücke und die vier weiteren Großbogenbrücken in Europa das Label Weltkulturerbe mehr als verdient haben.“ Eine Abendveranstaltung am 27. Oktober soll auch Politiker und weitere Entscheidungsträger aus allen vier Ländern endgültig überzeugen.
Der ursprüngliche Ideengeber Karl Heinz Humpert ist heute 68 Jahre alt und noch Vorsitzender des Remscheider Kulturausschusses. Ob sein elf Jahre alter Vorschlag eines Tages also doch noch Realität wird? „Ich bin guten Mutes, dass die inzwischen sanierte Brücke in Gemeinschaft mit den anderen Bauwerken gute Chancen hat.“