Kunst Entdeckung — Surrealismus in Ägypten
In Kairo höhnten die Maler im Kampf gegen die Nazis: „Es lebe die entartete Kunst“ und schufen grandiose Bilder, die die K 20 nun zeigt.
Düsseldorf. Der Gründungsdirektor der Kunstsammlung NRW, Werner Schmalenbach, war erpicht auf die ästhetische Qualität eines Kunstwerks. Seine Surrealistensammlung ist ein Kleinod. Sie orientiert sich am Kreis um André Breton. Nun aber zeigt die Kunstsammlung am Grabbeplatz, diese Hochburg der Klassiker, die Alternativen: den Surrealismus als Widerstand, als Auflehnung gegen die Tradition, als Kampf gegen Faschismus und Nationalismus. „Art et Liberté“ heißt die Ausstellung, die am Freitag eröffnet wird. Sie gilt einer Künstlergruppe, die ihr Zentrum in Kairo hatte und von 1938 bis 1948 bestand. Sie bringt eine neue Bildersprache ins Haus.
Generell verquickten die Surrealisten in Europa wie im Land der Pyramiden Dichtung und Malerei, liebten das Absurde und Fantastische, aber auch den Traum und das Unbewusste. In Kairo aber nahmen die Künstler eher eine provokative und humanistische Haltung ein. Die Gruppe um den Kosmopoliten Georges Henein, den Maler und Filmer Kamel El-Telmisany und den Maler Ramses Younane reagierte auf die Nazi-Schau „Entartete Kunst“. Daran beteiligten sich junge, in Kairo lebende Maler, Schriftsteller und Aktivisten.
Die größte Stadt Afrikas, Teil des britischen Empire, war Hort für Flüchtlinge, Schriftsteller und Künstler aus Europa. Gleichzeitig lebten 140 000 Soldaten dort. In dieser Metropole zogen sich die Gegensätze an und stießen sich ab. Ein Nährboden also für den Surrealismus.
Die Kuratoren der Düsseldorfer Schau, Sam Bardaouil und Till Fellrath, forschten sechs Jahre, trugen jeweils hundert Arbeiten und Dokumente zusammen. Sie klopften bei 50 Leihgebern erfolgreich an. Ihr Projekt ist zugleich der Prolog für das große Thema der Global Art, das 2018 mit Unterstützung von Bundesgeldern herauskommen wird.
Das Manifest von Art et liberté (1938) existiert nur noch in zwei Exemplaren, eines in Edinburgh, das andere in Chicago. Es zeigt auf der einen Seite ein Abbild von Picassos Antikriegsbild „Guernica“, auf der anderen Seite den Text der Gruppe in arabischer und französischer Sprache. Die Freunde reagieren auf den Kreuzzug der Nazis und Faschisten mit dem Ausruf: „Es lebe die entartete Kunst!“.
Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs malen sie gegen die Angst und gegen den Tod an. Amy Nimr verliert bei einer Bombenexplosion ihren achtjährigen Sohn und lässt nun aus einer „anatomischen Zeichnung“ die Gedärme herausquellen. Auch ein Skelett unter Wasser verheißt nichts Gutes. Die Fragmentierung der menschlichen Gestalt spielt eine große Rolle. Zerstückelte, verzerrte und gequälte Figuren tauchen auf. Die größte Entdeckung der Ausstellung ist Mayo, ein Ägypter mit griechischen Wurzeln. Er schiebt Menschengesichter ineinander, lässt Augen abrutschen und Gesichter mit Krallen malträtieren. Sein Panorama „Knüppelschläge“ ist ein Stakkato der Stockschläge von Ordnungshütern gegen die armen Teufel, die sich mit Händen und Füßen zu wehren versuchen. Ein auch in den Farben brillantes und bewegtes Bild.
Die französischen Surrealisten sahen in der Frau eher das Lustsymbol. In Kairo machen die Künstlerinnen aktiv mit. Sie sind die klapperdürren Gerippe in den Sommerkleidchen, die von Nägeln durchbohrten Menschen, deren Brüste und Bauchnabel verzerrt sind. Sie hängen als Fischerinnen im Netz. Einer Schönen von Maher Raef nähert sich ein Fisch mit Auge und geöffnetem Maul, farbig, schön und gefährlich.
Immer wieder taucht in den Bildern dieser Maler die ägyptische Göttin Nut auf. Die Göttin des Himmels setzt jedoch in dieser kaputten Welt kein Fleisch an. Der grüne Kopf verweist auf die berühmten Pharao-Köpfe aus grünem Saphir. Doch Arme heben sich empor, weniger als Zeichen einer göttlichen Erleuchtung, sondern eher als eine hilflose Ergebung. Letzteres Beispiel gehört zwar der eher befeindeten „Gruppe der Zeitgenössischen Kunst“, aber dennoch ist dieses Werk von Abdel Hadi-El-Gazzar gleichfalls ein surreales Motiv.
Ein eigenes Kapitel gilt der surrealistischen Fotografie mit vielen unbekannten Namen. Nur die US-amerikanische Fotografin Lee Miller ist bekannt. Die Geliebte Man Rays zog 1933 nach Kairo und heiratete einen vermögenden ägyptischen Geschäftsmann. Seit 1937 unterhielt sie eine Fernbeziehung zu Roland Penrose, den Briten in London, den Freund der belgischen Surrealisten. Sie heiratete ihn später. Eine ihrer Inkunabeln ist das „Porträt des Raums“ (1937). Es zeigt ein zerrissenes Moskito-Netz, durch dessen unregelmäßiges Rechteck das Kameraauge auf die Wüstenlandschaft schaut, während über der Szene eine Art Diarahmen schaukelt.
Die Armenierin Ida Kar kam über Frankreich nach Alexandria. Sie zitiert die Zeit der Pharaonen, aber stellt ihnen wattierte Puppen zur Seite. Ironisch wirken ihre Knochen, deren Fleischreste eine ungewöhnliche „Umarmung“ praktizieren. Etienne Sved, jüdischer Flüchtling aus Budapest, setzt einem ausgegrabenen Kolossalfuß aus Stein die kleine Hand eines Menschen entgegen, als Spiel mit der antiken Größe. Raffiniert ist Van Leos Dialog von Licht und Schatten in seinen Selbstporträts.
Die surrealistischen Fotografen in Kairo waren vielfach vom Bauhaus inspiriert. Sie arbeiteten mit Solarisation, Verfremdung, Collage und Fotomontage, egal, ob in den Sanddünen Ägyptens oder in Stillleben. Die Fotokunst kennt im Gegensatz zur Malerei keinerlei Grenzen, auch keine gesellschaftlichen Bezüge. Hätte Schmalenbach Fotos gesammelt, so wären diese Beispiele aus Kairo genau nach seinem Sinn gewesen.