Museum Frieder Burda Dandy auf Zeitreise: Foto-Künstler Rodney Graham
Baden-Baden (dpa) - Ein Mann sitzt im Anzug auf einer Parkbank und liest Zeitung. Es erinnert an die F.A.Z.-Werbekampagne „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“.
Die kennt Foto-Künstler Rodney Graham nicht. Dafür umso besser alte US-Comics, wo sich Spione hinter einer Zeitung verstecken, in die Gucklöcher geschnitten sind.
Doch man muss schon genau hinschauen, um das und anderes zu entdecken. Das ist typisch für den kanadischen Künstler, dessen poetisch-humorvolle bis melancholische Leuchtkastenbilder nun im Baden-Badener Museum Frieder Burda zu sehen sind.
Unter dem Titel „Rodney Graham. Lightboxes“ werden vom 8. Juli bis zum 26. November 22 dieser großformatigen Installationen gezeigt. Es ist nach Angaben des Museums hierzulande die bislang umfangreichste Leuchtkasten-Schau. Parallel dazu wird Rodney Graham derzeit auch im niederländischen Wassenaar gewürdigt.
Der 68-Jährige ist einer der angesagtesten Gegenwartskünstler, dessen Arbeiten sechsstellige Summen erzielen und in namhaften Sammlungen vertreten sind. Ob Film, Fotografie, Installation, Performance, Malerei, Literatur oder Musik - Graham, der mit Künstlern wie Jeff Wall oder Stan Douglas zur „Vancouver School“ zählt, bewegt sich mühelos über Gattungen hinweg. Eines mag er vor allem: Das Spiel mit Rollen, Klischees und Zeiten.
Für seine geschickt montierten Fotos in Form des klassischen Werbe-Leuchtkastens betreibt er - wie sein US-Künstler-Kollege Gregory Crewdson - einen immensen Aufwand. So hat er für den Nachbau eines Antiquariats einen ganzen Laden rekonstruiert, dafür Kuriositäten gesammelt und sich als Antiquar in Szene gesetzt. Am Ende steht der Betrachter staunend vor einem nostalgischen riesigen Wimmelbild, das an ein Triptychon alter Meister erinnert.
Um einen Möchtegern-Künstler in der Midlife-Crisis darzustellen, hat er eine Turnhalle zu einem Wohnzimmer umfunktioniert: „Wir haben es ganz im West-Coast-Stil aufgebaut“, sagt der echte Künstler. Zahnarzt könne er sein, sagt Graham über den Typ auf der Foto-Leuchtwand, von dessen gescheiterten Malversuchen Unmengen von Zigarettenkippen künden.
Auf anderen Leuchtwänden diniert ein Schlagzeuger auf seinem Instrument, ein Gelehrter posiert in Oma-Puschen vor seiner Bücherwand, und schießwütige Cowboys lassen einen Mann im Western-Saloon im Kugelhagel tanzen. Ob Dandy, Koch oder Punk - in der Hauptrolle ist immer der Künstler selbst, der für die richtigen Posen sich einiges abverlangt. „Manches war gewagt“, erinnert er sich vor einem Bild, auf dem er mit einer Art Stelzen zu sehen ist.
In seinen Werken wimmelt es von Zitaten und Anspielungen. Der vertrocknete Geburtstagsstrauß vor den Farbtöpfen gleicht einem barocken Vanitas-Stillleben. Hitchcock-Fans erkennen in den Comic-Lesern im Bett die Szene aus dem Film „Eine Dame verschwindet“ wieder. Doch auch ohne solches Wissen sind die Leuchtkästen schön anzuschauen, so wie das Video vom tanzenden Kronleuchter, den der Künstler aufgezwirbelt hat, um ihn richtig in Schwung zu bringen.
Wenn die einzige Botschaft im Raum vor einer leeren Tafel und einem toten TV-Bildschirm der Lehrende selbst ist, kann man das als Parodie auf die Medienforschung und den akademischen Betrieb sehen. Doch ob hier oder bei anderen Bildern - für Patricia Kamp, die Kuratorin der Ausstellung und Stieftochter von Frieder Burda, kommt bei Grahams Kunst vor allem eines immer wieder zum Ausdruck: die Melancholie eines Zeitreisenden. In diese Rolle kann auch der Besucher schlüpfen - und sich fotografisch in das Triptychon eines Hippie-Gartens hineinmontieren lassen.