Ausstellung im Kai 10 Die liebliche Welt aus dem Netz

„Bodies, Grids and Ecstasy“ heißt die aktuelle Schau im Kai 10 am Medienhafen. Zu sehen sind spannende Künste aus dem Computer. Ein Rundgang.

Pavel Pepperstein, Studien zum amerikanischen Suprematismus, 2013.

Foto: Andrea Rossetti

Die digitalen Prozesse bestimmen immer mehr die Kunst der Gegenwart. Neun Künstler hat der Kurator Ludwig Seyfarth ins Kai 10 im Medienhafen eingeladen, um diese Thesen zu belegen. Es geht im gemalten Bild und in der Fotografie um eine Wahrnehmung, die vom Körperlichen in eine fluide Zone gleitet, wo es keine Unterschiede zwischen Wirklichkeit und Fiktion gibt. Ein spannendes Thema, aber auch ein gefährliches, denn wo die Grenzen verschwinden, stellt sich leicht eine Beliebigkeit in den zartfarbigen Räumen ein.

Am präzisesten agiert Beate Gütschow, die seit 2011 Professorin an der Kunsthochschule der Medien in Köln ist. Die 53-Jährige arbeitet mit gefundenem Material, das sie mit eigenen Aufnahmen raffiniert am Computer bearbeitet und perspektivisch verzerrt. „HC“, die Abkürzug von Hortus Conclusus (dies heißt übersetzt etwa verschlossener oder geschlossener Garten), nennt sie ihre Fakes im künstlichen Paradiesgarten. Sie überträgt den Tiefenraum in ein flächig wirkendes architektonisches Raster und überlässt dem Algorithmus die Aufgabe, die sich überschneidenden Punkte zu verbinden, sodass die Perspektiven seitlich wegzurutschen scheinen. Der schöne Garten wird zum fremden Szenarium in einer pflegeleichten Betonwüste.

Verena Issel, seit Kurzem Professorin in Cottbus, schafft eine begehbare Rauminstallation aus Materialbildern, die an eine Bastelstube erinnert. Kita-Kinder hätten ihre wahre Freude, wie sie mit Fransenbordüren und Filzstreifen, Farbbändern und Nylonschnüren künstliche Landschaften näht, klebt oder ineinanderschiebt. Ein leichter Zauber weht dank der zarten Farben über den Textilien, zu denen sich ein Rosenbogen aus dunkelgrünem Drahtgeflecht gesellt, der allerdings ohne duftende Rosen auskommt. Auch hier zerstört der Purismus das Verlangen nach unberührter Natur.

Computerbild lässt die Szene
wie im Traum erscheinen

Margret Eicher, die an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hatte und wie die Mehrzahl ihrer Kollegen und Kolleginnen längst in Berlin heimisch wurde, ist berühmt für ihre Copy-Collagen. Sie vervielfältigt Bildmotive aus der Medienwelt wie den Whistleblower Julian Assange und lässt ihn per Laserkopie in einer digitalen Weberei in Belgien direkt auf Teppiche übertragen. Der Enthüllungsjournalist blickt erstaunlich jung in Siegerpose aus dem gewebten Teppich heraus, umgeben von Ninja Turtles, den für das Gute kämpfenden Comichelden in Schildkrötengestalt. Das alles egalisierende Computerbild lässt die Szene wie im Traum erscheinen.

Roy Mardechay aus Haifa, der in Düsseldorf lebt, benutzt das vergrößerte Format eines Smartphones mit abgerundeten Ecken, um gleichsam mit dem Fingernagel seine verspielten Abstraktionen preiszugeben. Auf pastellfarbenen und mit Farbverläufen gestalteten Bildhintergründen entsteht ein unbestimmtes Allerlei, das alles und nichts bedeuten kann. Ein farbiger Bildschirmhintergrund, der auch ohne Botschaft auskommt. Anders Pavel Pepperstein. Eine ganze Koje ist diesem russischen Konzeptkünstler aus Moskau gewidmet, dessen Humor seit dem Krieg gegen die Ukraine hierzulande sehr vermisst wird. Er ist der einzige Künstler in dieser Gruppenschau, der nicht zum Thema digitaler Illusionen passt.

Mäzenin Monika Schnetkamp gibt Schätze der Öffentlichkeit preis

Er glossiert den Suprematismus aus der Avantgarde seiner Heimat, aber er zieht auch die Amerikaner mit ihrem nationalen Stolz durch den Kakao. Seine farbenfrohen, spitzen Dreiecke, wie sie die abstrakten Künstlerkollegen im frühen 20. Jahrhundert liebten, schießt er auf den Mond, wo allerdings schon die amerikanische Flagge weht, während ein Mann im eiförmigen Rund auf die Knie fällt und mit Cowboyhut, schwarzem Anzug und polierten Modeschuhen betet, während im schwarzen Weltall die bunten Sterne trudeln.

Die acht Aquarelle des Künstlers von 2009 bis 2015 gehören zur Privatsammlung der Mäzenin Monika Schnetkamp, die damit ihre eigenen Schätze ein klein wenig der Öffentlichkeit preisgibt.

Am 24. Januar will die Berlinerin Lena Schramm in einer Gesprächsrunde erklären, warum sie sich mit einer akribischen Genauigkeit ausgerechnet in die Ecstasy-Pille kniet. Diese Designerdroge mit psychoaktiver Wirkung kann nicht nur Glücks- und Liebesgefühle erzeugen, sondern zu einer psychotischen Störung bis zu einem Kreislaufkollaps führen. Mit diesen Tabletten erzählt die Künstlerin nicht nur ein heikles Kapitel aus der Partykultur, sondern stellt auch Bezüge zum Kunstkommerz in der Art Basel her.