Neue Ausstellung in der Düsseldorfer Kunsthalle Wenn die Heimatsprache fremd wird
Düsseldorf · In der Kunsthalle reflektieren junge Stipendiaten in einer Ausstellung die Krisen von heute. Sie bestechen mit einem frischen Blick.
Das Schmidt-Rottluff-Stipendium ist renommiert. Auserwählte Talente können davon zwei Jahre lang leben, erhalten eine Ausstellung und einen Katalog. Das Besondere besteht in der Jury: Die Auswahl treffen ausschließlich Künstler, deren frischer Blick besticht. Die Kunsthalle, die nun elf Positionen zeigen darf, schätzt sich glücklich. Kunsthallenchef Gregor Jansen fällt eine hochwertige Schau gleichsam in den Schoß.
Den jungen Leuten brennen in der aktuellen Krisenzeit gesellschaftliche, politische und persönliche Fragen unter den Nägeln. Ida Kammerloch wurde 1991 in Russland geboren, als die Sowjetunion längst zerbrochen war. Ihre Großeltern waren Pendler-Händler, die 13 Jahre lang Plüschtiere und gefälschte Markenkleidung aus China importierten. Die Nachgeborene wühlt sich mit ihrer Filmkamera durch die gehorteten Dinge auf der Suche nach einer neuen Wirklichkeit.
Silke Schönfeld, die auch in Düsseldorf studiert hat, beginnt mit einem Apfelbaum in Mutters Garten, der nun nach jahrelangen Debatten in der Familie gefällt wird. Das Ansetzen der Säge durch den Baumkletterer ist doppeldeutig wie der Film. Wird der zerstörte Baum auch die Erinnerungen der Mutter an ihren restriktiven Vater verschwinden lassen? Werden die Baumscheiben die Mutter heilen, die vom sexuellen Missbrauch in eine tiefe psychologische Krise geraten ist?
Die Corona-Zeit bedeutete ein Innehalten, ein Reflektieren über die eigene Situation. Larissa Rosa Lackner, die aus der Leipziger Schule hervorgegangen ist und heute in Berlin lebt, nimmt sich selbst als Motiv: „okay bin da“ nennen sich farbenfrohe Selbstporträts, die die Schwarzhaarige mit dem bunten Jogging-Outfit beim Trimmen und Kindchen-Spiel oder in intimen, auf ihr Ich bezogenen Szenen zeigt.
Interessant ist die breit gefächerte Inszenierung von Nicolas Fehr, in der sich Können und Fehlversuche auf wundersame Weise die Balance halten. Seine vier Figuren bestehen aus primitiven Holzgerüsten, über die der Künstler seine getragenen Klamotten gestülpt hat. Diese Alter Egos sprechen miteinander, hören sich jedoch kaum, denn sie werden durch einen hybriden Vulkan auch optisch voneinander getrennt. Viel Video-Feuer wird da ausgespuckt. Fehr, perfekt in den neuen Medien an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe ausgebildet, spielt souverän mit Romantik und Enttäuschung an den Schnittstellen von experimentellem Pop, Performance und Bildkunst.
Ava Irandoost macht im filmischen Streifen das Elend der Weltpolitik deutlich. Sie wurde 1986 im Iran geboren. Seitdem führt der einst mächtige Fluss Karun kaum noch Wasser. Bagger durchfurchen den kahl gewordenen Boden. Die Künstlerin verquickt die traurigen Ergebnisse einer falsch verstandenen Klima- und Wirtschaftspolitik mit der Gedenkstätte Shalamcheh, wo im Golfkrieg zwischen Iran und Irak Tausende Menschen an den verheerenden Folgen chemischer Waffen in den 80er-Jahren ihr Leben ließen. „Die Kunst ist für mich immer politisch“, sagt sie. Dennoch bleibt die Sehnsucht nach Schönheit als stiller Begleiter. So werden die kritischen Szenen ab und zu von bunten Fischen in einem Aquarium überlagert.
Die Ausstellung ist ein Spiegelbild für die Probleme von Künstlern aus fernen Ländern. Was gilt da noch die Muttersprache? Andreja Saltyte, in Vilnius geboren, Ex-Studentin aus Leipzig, geht dem Sprachgesetz von 2019 in der Ukraine nach, das nach der Großinvasion Russlands neben Russisch das Ukrainische als zweite Staatssprache bestimmte. 2023 reiste Saltyte in die Ukraine, um zu erfahren, wie Väter und Großväter die jeweils eigene oder fremde Sprache entwickelten. Haben sie ihre Sprache aufgegeben? Können sie das überhaupt? Ist ihnen die Heimatsprache so fremd geworden wie die Heimat selbst?
Nicht alles ist sofort verständlich in dieser Schau. Das gilt etwa für Daniel Hopps Suche nach dem Edelstein von Nordtansania wie für die falschen Dollarnoten von Cudelice Brazelton. Aber eine Zeichnung des Texaners aus Frankfurt prägt sich sofort ein: Mit dem Lötkolben hat er ein Stück Jeansstoff in die weiße Wand der Kunsthalle eingebrannt. Ist es ein schwarzer Lockenkopf? Eine Protestnote? Oder nur ein fremdes Brandzeichen?