Ambitionierter Indiepop ganz grenzenlos
Berlin (dpa) - Sie tragen seltsame Band- oder Projektnamen wie Young Man, Husky, Electric Guest, Cold Specks und Best Coast. Eine ganze Reihe junger Musiker aus den USA, Kanada und Australien glänzt in diesem Frühjahr mit grenzenlos ambitionierten (Indie-)Pop-Alben.
Die wohl interessanteste der fünf brandaktuellen Platten liefert Colin Caulfield alias YOUNG MAN mit seinem schlicht „Vol. 1“ betitelten Band-Debüt (Frenchkiss Records). Seidenweich intoniert er seine Lieder zwischen verträumtem Pop, elektronisch aufgebrezeltem Folk und einer Prise White Soul („Wasted“).
Bis zu acht Minuten nimmt sich Caulfield Zeit für seine teils episch-versponnenen Lieder. Jedwede Hektik ist dem jungen Mann also fremd, auch wenn Schlagzeug und Gitarren in „Do“ mal vom Trab in den Galopp verfallen oder in „Fate“ das Feedback dröhnt. Allen neun Songs ist eine erstaunliche Reife gemeinsam, bedenkt man, dass Caulfield mit der EP „Boy“ von 2010 (der Vorstufe von Young Man) erst eine bescheidene Visitenkarte abgeliefert hat.
Mit Namensvetter Holden Caulfield - dem aufmüpfigen Teenager aus Salingers Roman „Der Fänger im Roggen“ - will der Musiker übrigens nicht viel zu tun haben. „Ich mag das Buch nicht sonderlich“, sagte er dem „Rolling Stone“. „Ich habe es einmal gelesen, als ich noch sehr jung war, und wieder vergessen.“ Nach der Talentprobe „Vol. 1“ darf man jedenfalls auf die nächsten musikalischen Schilderungen des Colin Caulfield aus seiner eigenen Jugendphase sehr gespannt sein.
Junger Mann mit interessantem Namen, der eine fast schon frühreife, jedenfalls sehr subtile Musik macht: Das trifft alles auch auf Husky Gawenda zu, der seine Band nach seinem Vornamen HUSKY benannt hat. Auf dem Debütalbum des Australiers, „Forever So“ (Sub Pop/Cargo), erklingen zarte, komplexe Indierock-Melodien mit Wurzeln in den goldenen Sechzigern.
Crosby Stills & Nash, Bob Dylan, Neil Young, Leonard Cohen oder The Beach Boys werden als Vorbilder genannt. Kann man alles mehr oder weniger unterschreiben - auch wenn bis zu diesen lichten Höhen noch Luft ist. Und natürlich vergisst die PR-Abteilung nicht zu erwähnen, dass Gawenda seine Songs über viele Jahre allein im Schlafzimmer schrieb und zu schüchtern war, sie live aufzuführen. Den beträchtlichen Charme dieser melodiesatten, mit jungenhafter Stimme gesungenen Folkpop-Preziosen mindert das alles nicht - auch die Entwicklung von Husky und seiner Band behält man gern im Auge.
Erst seit 2010 bestehen ELECTRIC GUEST aus Los Angeles, das Vehikel für die musikalische Vision des jungen Singer/Songwriters und Multiinstrumentalisten Asa Taccone. Das zusammen mit Matthew Compton eingespielte Debütalbum „Mondo“ (Warner) vereint milden Neo-Soul wie in „This Head I Hold“ oder „The Bait“ mit tanzbarem Synthie-Pop und experimentelleren Ansätzen.
Der Clou dieser Platte ist die Mitwirkung von Brian Burton alias Danger Mouse, des derzeit wohl angesagtesten Indie-Produzenten (The Black Keys, Norah Jones, Gorillaz). Im entspannten Pop-Groove von „Awake“ entfaltet sich der ganze Reiz einer Kooperation junger Nachwuchsmusiker mit einem erfahrenen Knöpfchendreher. Dass Burton auch noch an den zehn Songs dieses feinen Albums (Höhepunkt: das fast neunminütige, verschachtelte „Troubleman“) mitgeschrieben hat, unterstreicht seine Wertschätzung für Taccone und Compton.
Während Electric Guest dezent auf die Indiepop-Tanzfläche schielen, ist die kanadische Sängerin Al Spx (ein Kunstname wie der ihres Projekts COLD SPECKS) eher im düsteren Gospel-Soul zuhause. Das Debüt „I Predict A Graceful Expulsion“ (Mute/GoodToGo) lebt vor allem von der beeindruckenden, tiefschwarzen Stimme der 23-Jährigen, die mittlerweile in London lebt.
Gitarren, Piano, Streicher und nicht viel mehr tragen diesen spröden Sound, den Al selbst als „Doom Soul“ charakterisiert. Auch bei Cold Specks (benannt nach einem Zitat aus Joyces „Ulysses“) standen Berühmtheiten im Hintergrund: Bei der Produktion half Grammy-Gewinner Jim Anderson, die Arrangements verfeinerte Rob Ellis, der langjährige Sidekick von P.J. Harvey. Das Ergebnis ist eine atmosphärisch starke Platte mit kleinen Unebenheiten im Songwriting, das man sich noch etwas abwechslungsreicher gewünscht hätte.
Die Anfängerfehler eines Debüts haben Best Coast schon hinter sich, seit sie 2010 mit „Crazy For You“ in der US-Indiepop-Szene auftauchten. Der Nachfolger „The Only Place“ (Wichita/Pias) zeigt das kalifornische Duo Bethany Cosentino/Bobb Bruno deutlich gereift. Im Fall von Best Coast stammt die helfende Hand von Jon Brion, einem hoch geschätzten Studiomusiker, Produzenten (Aimee Mann, Fiona Apple, Brad Mehldau) und Soundtrack-Komponisten („Magnolia“, „Punch-Drunk Love“).
Schrammeliger, angeschrägter Gitarrenpop mit Sixties-Einflüssen, gesungen von einer charmanten, unverfälschten Frauenstimme - das bietet „The Only Place“ im Überfluss. Der Opener und Titelsong flutscht wie ein Bangles-Hit der 80er ins Ohr, und dort bleibt die Musik auch in der folgenden halben Stunde hartnäckig hängen. Unter den fünf Alben dieses Sortiments gelingt Best Coast mit Sicherheit das Sonnigste.