Beifall und Buhrufe für Nürnberger „Siegfried“
Nürnberg (dpa) - Ganz überraschend kam die Szene nicht, trotzdem reichte sie aus, um die Publikumsstimmung kurz vor dem Ende gründlich kippen zu lassen.
Mit einer fragwürdigen Banalisierung des Schlussaktes hat der Regisseur des Nürnberger „Siegfried“, Georg Schmiedleitner, am Sonntagabend nach zunächst wohlwollendem Zwischenapplaus für Verstimmung und Unmut bei vielen Zuschauern in der Staatsoper gesorgt - und damit einen kleinen Skandal provoziert.
Während das Publikum Sänger und Orchester begeistert feierte, empfing es das Regieteam um Schmiedleitner nach dem Schlussvorhang mit lauten und vielstimmigen Buhrufen. Mit seinem Ausflug in die spießige Kleinbürgerwelt hatte Schmiedleitner Wagners Pathos nach dem Geschmack mancher Zuschauer wohl allzu krass umgedeutet - und damit womöglich verhindert, dass auch der dritte Teil des Nürnberger „Rings“ zur Erfolgsstory wurde.
Schmiedleitner hatte aus der dramatischen Szene, in der das Orchester Siegfrieds erstes Liebeserlebnis in einen furiosen Klangrausch taucht, einen banalen TV-Abend gemacht: Siegfried lädt Brünnhilde, nachdem er sich endlich ihrer Liebe sicher sein kann, in seine muffige Spießerwohnung ein. Das erwartete ekstatische Liebesspiel verkommt dort zur langweiligen Ehezweisamkeit bei Flaschenbier und Kartoffelchips.
Dabei hatte der österreichische Theatermann am Ende der mehr als vierstündigen Mammut-Oper eigentlich nur zu seinem durchaus schlüssigen Eingangsmotiv zurückgefunden: Den Absturz der Götter- und Nibelungen-Welt - auf Obdachlosen- und Hartz-IV-Niveau.
Den ersten Akt des „Bühnenspiels“ verlegt er daher in einen ausgebrannten Bunker mit Doppelstockbett, schmuddeliger Einbauküche und martialischem Graffiti (Bühnenbild: Stefan Brandtmayr). Dort zieht der Schmied Mime (Peter Galliard) Siegfried groß - allein in der Hoffnung, über diesen an den weltbeherrschenden Ring des Nibelungen zu gelangen.
Siegfried - glänzend verkörpert von Tenor Vincent Wolfsteiner - lässt Schmiedleitner dabei in dunkelroten schlabbrigen Jogginghosen und orangefarbenem T-Shirt zwischen Bett und Waschmaschine hin und her tänzeln - mehr als naiv durchs Leben tapsender Träumer denn als furchtloser Held. Schmiedleitner betont dabei auffällig stark das in der „Siegfried“-Rolle innewohnende Komödiantische.
Auch mit seinem im zweiten Akt wieder aufgegriffenen Apokalypse-Thema bot Schmiedleitner eine zwar ebenfalls angreifbare, aber durchaus plausible Deutung an. Wuchtige Betonplatten einer anscheinend nach einem Erdbeben zerborstenen Autobahn werden darin zum Unterschlupf für den Drachen Fafner - für den Regisseur ein Hinweis auf die Kaputtheit unserer heutigen Welt.
Gut gelöst hat der Theatermann auch die Szene, in der Siegfried den Flammenring durchdringt, um die dorthin verbannte Brünnhilde aus ihrem Dauerschlaf zu erwecken. Siegfried steht dabei starr vor einer pechschwarzen Leinwand, während auf der Bühnenumfassung Projektoren Flammen wild züngeln lassen. Später umfangen tiefrot beleuchtete deckenhohe Vorhänge auf beeindruckende Weise die beiden regungslos auf der Bühne liegenden Darsteller.
Zweifellos bester Sänger des Abends war Antonio Yang in der Rolle des Wanderers Wotan, der mit seinem kräftigen und verständlichen Bass das Publikum hinriss. Aber auch Vincent Wolfsteiner in der Titelrolle erhielt viel Applaus, auch wenn dessen Stimme gegen Ende Spuren der strapaziösen Rolle zeigte. Von den weiblichen Darstellern sang sich vor allem Rachael Tovey als Brünnhilde in die Herzen der Zuschauer.
Einen verdienten Sonderapplaus erhielt die Staatsphilharmonie mit Generalmusikdirektor Marcus Bosch am Dirigentenpult, zugleich musikalischer Leiter des „Ring“-Projekts, das im Oktober mit der „Götterdämmerung“ abgeschlossen werden soll. Das Orchester zeigt sich in allen Partien Wagners Musik gewachsen - mal kraftvoll-dramatisch, mal sanft und feinfühlend und immer präzise. Dabei ließen die Orchestermusiker den Sängern genügend Raum, um sich musikalisch entfalten zu können.