Bitter-süß und bluesig - Dave Gahan ohne Depeche-Mode-Korsett
Berlin (dpa) - Dave Gahan geht fremd. Ohne Depeche Mode fühle er sich freier, das hat der Mann mit dem lasziven Hüftschwung vor der neuen Tour mehrmals gesagt. Raus aus dem Korsett der britischen Synthie-Pop-Band.
Die Songs, die der 53-Jährige am Freitag bei seinem einzigen Deutschlandkonzert in Berlin präsentiert, stammen aus der eigenen Feder.
„Ich weiß nicht wirklich, wie ein Song klingen wird, bevor er fertig ist“, hat Gahan zuvor erzählt. Schwermütig, getragen, anspruchsvoll, ausdrucksstark, so hört es sich an. Nur 3500 Fans können Gahan in Berlin live erleben. Sie gehen mit, genießen mit geschlossenen Augen. Die Menge wogt, einen Arm nach oben gereckt.
Als der durchtrainierte Sänger sein Jacket abstreift, sind viele Frauen enttäuscht: Sonst trägt er offene Westen auf nacktem Oberkörper, diesmal ein schwarzes Hemd. Den Hüftschwung hat er trotzdem drauf - das sehen auch Tausende Fans in der Internet-Liveübertragung. Sie erleben eins von nur sechs Konzerten der neuen Tour weltweit.
Zum zweiten Mal arbeitet Gahan für „Angels & Ghosts“ mit Rich Machin und Ian Glover von den Soulsavers zusammen. Das erste Album „The Light the Dead See“ war nirgends so erfolgreich wie in Deutschland. Jetzt habe Gahan noch stärker die Führung übernommen, heißt es. Der Sound nähert sich Depeche Mode wieder an - und zeigt zugleich, wie die Briten klingen könnten, wenn sie an Synthesizern sparen und die Gitarren in den Vordergrund rücken würden.
Bitter-süß ist seine Musik. Mal ganz positiv bei „Shine“, das in der Nacht nach einem gelungenen Konzert entstand. Dann klingen wieder die Dämonen, die Geister durch, die Gahan in den vergangenen Jahren hinter sich gelassen hat. Drogenexzesse, Nahtod, Krebs - Vergangenheit. Es bleibt die Musik.
Ganz im Mittelpunkt stehen - trotz neunköpfiger Band - Gahan und seine eindringliche Stimme. Die scheint mit den Jahren nur noch stärker zu werden. Statt schwerem Elektro nimmt der Sänger und Songschreiber Blues- und Gospel-Elemente auf. Hier und da kommt er allerdings müde rüber. Es fehlt an Tiefe, Nachdruck, Wow-Effekt.
Er wolle nicht ständig dasselbe machen, sagte Gahan vor der Tour im Deutschlandradio. Künstler müssten sich weiterentwickeln - und hoffen, dass die Fans sich mit bewegen. Tour und Album mit den Soulsavers sind Gahans Möglichkeit, Last und Erwartungshaltung aus fast 35 Jahren Depeche Mode abzuschütteln. Das gelingt. Das Album fühle sich sehr persönlich an, sagt er.
Richtig begeistert sind die Fans trotzdem erst, als der 53-Jährige zum Ende seines Konzerts den Depeche-Mode-Hit „Walking in my shoes“ anstimmt. Fremdgehen hat Grenzen. Aber Gahan hat ja schon versprochen, dass sich Depeche Mode Ende des Jahres zusammensetzen und über ein neues Album sprechen wollen.