Bowies „Blackstar“: Kühner Jazz als neuer Kick

Berlin (dpa) - Bowie weiß seine Feste zu feiern. Punktgenau am 66. Geburtstag brachte er vor knapp drei Jahren - am 8. Januar 2013 - den Comeback-Song „Where Are We Now“ heraus, dem eine beeindruckende Bowie-Mania mit Hitalbum und Lebenswerk-Ausstellung folgte.

Foto: dpa

Nun steht der 69. Geburtstag bevor, und wieder gibt es frische Musik von einem der erfolgreichsten Popmusiker unserer Zeit. Sie dürfte - wie so oft bei dem rätselhaften Briten - überraschen, irritieren, auch verstören. Denn Bowie hat in den Kellerclubs seiner Wahlheimat New York den Avantgarde-Jazz entdeckt - und das hört man.

Im Gegensatz zum Vorgängerwerk „The Next Day“, das Bowie nach zehn Jahren gesundheitsbedingter Sendepause unter extremer Geheimhaltung eingespielt und lange unter der Decke gehalten hatte, wird „Blackstar“ mit viel Vorlauf-Tamtam in die Öffentlichkeit getragen. Der zehnminütige Titelsong und das gruselige „Blackstar“-Video sind seit dem 20. November im Netz. In der Woche danach stellte Bowies Plattenfirma das neue Album in sogenannten Pre-Listening-Sessions komplett vor. Offiziell herausgebracht wird es am 8. Januar 2016.

Vorab-Bemusterungen vor einer Plattenveröffentlichung sind in der Branche üblich, bei einem Weltstar wie Bowie läuft das Ganze aber etwas exklusiver ab. So fläzte sich ein handverlesener Kreis von Musikjournalisten in den Sesseln des Planetariums im Berliner Stadtteil Steglitz und hörte sich die sieben Lieder angemessen laut unter künstlichem Sternenhimmel an.

Der erste Eindruck von Bowies 25. Studioplatte seit 1967: Während „The Next Day“ wie ein Karrierequerschnitt mit lauter neuen Songs und ziemlich zugänglich klang, ist „Blackstar“ ein echter Brocken. 42 Minuten lang wird schwere Kost zwischen experimentellem Jazz und wuchtigem Art-Rock aufgetischt, die den seit Jahren abgetauchten Endsechziger von seiner kühnsten Seite zeigt.

Vermutlich kann Bowie so kompromisslos agieren, weil er in kommerzieller Hinsicht nichts mehr beweisen muss - laut BBC-Schätzung hat er schon bis zu seinem weltweit erfolgreichen Comeback von 2013 mehr als 140 Millionen Tonträger verkauft. In die neue Platte habe der Meister nun nochmal „alles reingeworfen“, sagte sein langjähriger Produzent Tony Visconti dem „Rolling Stone“. „Das Ziel war, Rock 'n' Roll unbedingt zu vermeiden.“ Ziel erreicht - ein klassisches Geradeaus-Rockalbum ist „Blackstar“ nun wirklich nicht.

Schon der Titelsong zum Auftakt geht wagemutige Wege. Ein nervöser Stolperrhythmus à la Radiohead, diverse teils schräge Saxofon-Parts und ein für Bowie ungewohnter Falsettgesang nehmen Fahrt auf - ehe der Track nach vier Minuten in sich zusammenfällt und in einer völlig neuen Melodie wieder aufersteht. Danach ist eine Art Jazz-Funk-Groove mit viel wildem Gebläse zu hören. Auch das anschließende „'Tis A Pity She Was A Whore“ stellt das Saxofon von Donny McCaslin in den Mittelpunkt. Das übliche Strophe-Refrain-Schema sucht man hier ebenfalls vergeblich - so wie meistens auf „Blackstar“.

„Lazarus“, ein ruhigerer, von Bowie entspannt gesungener Song, lebt vom fantastischen Schlagzeugspiel von Mark Guiliana. Der wummernde Bass von Tim Lefebvre prägt „Sue (Or In A Season Of Crime)“. Auch in den restlichen Tracks, darunter die streicherverzierte Ballade „Dollar Days“, bekommen die virtuosen Begleiter aus der New Yorker Jazz-Szene viel Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Man spürt, dass diese Musiker Bowie einen neuen Kick versetzt haben - und dass er sie im Gegenzug auf die große Bühne heben wollte.

Zu diesem Album, dessen raffinierte Soundschichten und extravagante Harmonien sich erst mit mehrfachem Hören erschließen, wird Bowie wohl wieder keine Interviews geben und auch keine „Blackstar“-Konzerte. „Ich glaube, er wird nie wieder live spielen“, sagte Tony Visconti. „Und wenn doch, dann wird es eine totale Überraschung sein.“ Andererseits: Überraschungen hat Bowie schon immer geliebt.