Boxender Filmheld „Rocky“ als Musical-Star gefeiert
Hamburg (dpa) - „Warum bist du eigentlich Boxer geworden?“, fragt die schüchterne Adrian ihren Rocky in der Eislaufszene des Kult-Films von 1976. „Weil ich nicht singen oder tanzen kann“, antwortet der.
36 Jahre später halten Adrian und Rocky wieder Händchen beim Eislaufen - in einer spektakulären Bühnenshow. Tanzen muss der Boxer noch immer nicht können, aber er singt so kraftvoll wie er zuschlägt - und landet einen Volltreffer nicht nur in Adrians Herz. Das Publikum feierte Rocky Balboa am Weltpremieren-Wochenende als Deutschlands neuen Musical-Star. Ur-Rocky Sylvester Stallone (66) stieg dafür am Ende wieder einmal persönlich in den Ring und bedankte sich: „Mein Traum ist wahr geworden.“ Nicht in seiner und Rockys Heimat Amerika, aber auf der Hamburger Reeperbahn.
Dabei könnte das 15-Millionen-Euro-Musical „Rocky - Fight From The Heart“ amerikanischer kaum sein: Sein Held macht den typisch amerikanischen Traum wahr - der Underdog ergreift seine große Chance. Das Kreativteam, dem gleich mehrere absolute Profis vom New Yorker Broadway angehören, verpackte dies in eine Inszenierung mit so viel Show, wie es die Amerikaner lieben. Aber auch die deutschen Zuschauer standen am Ende der ersten Premiere - für Sonntagabend war die offizielle Weltpremiere mit prominenten Gästen geplant - begeistert und jubelten. Da war der Boxring für den finalen Fight schon mitten in den Zuschauerraum reingefahren und hatte das Operettenhaus in eine Arena verwandelt - der krönende Abschluss einer gelungenen Aufführung.
„Rocky“ bleibt „Rocky“ - ganz nah dran ist das Musical am Film. Rocky ist der Underdog, ein erfolgloser Boxer und Geldeintreiber für einen Kredithai, dem sich eine einmalige Chance eröffnet: Ihm wird der Kampf gegen den aktuellen Champion Apollo Creed angeboten. Vor allem aber bekommt er die Chance, sein Leben zu ändern. Er will raus aus dem Armenviertel Philadelphias und raus aus der Einsamkeit, denn bislang warteten daheim nur die beiden Schildkröten „K“ und „O“ auf ihn.
Er verliebt sich in die scheue Adrian, aus der zarten Romanze wird eine große Liebe. „Ich nenne das den "Adrian"-Faktor“, erklärt Stallone, der die Rocky-Figur selbst kreierte und in sechs Filmen spielte. „Seine Liebe zu Adrian ist der Schlüssel zur Geschichte.“ Auch auf der Bühne geht es vor allem um die Liebe zwischen den beiden, alle anderen Figuren und Handlungsstränge verblassen.
Der Hamburger Bühnen-Rocky Drew Sarich, der wie das Film-Original in Hut und Lederjacke die Bühne betritt und ihm auch so ziemlich ähnelt, beherrscht beides: den coolen Boxer und den zärtlichen Verliebten zu geben. Wietske van Tongeren ist die perfekte scheue Adrian. Stimmgewaltig sind Beide. Tanzen muss nicht nur der Boxer nicht, auch sonst wird fast komplett darauf verzichtet. „Eine Kickline oder Ähnliches hätte hier albern gewirkt“, erklärte ein Sprecher. Etwas gewöhnungsbedürftig war manche Liedzeile der deutschen Texte. Etwa wenn Rocky singt: „Doch, hey, die Nase hält noch.“ Song-Texterin Lynn Ahrens ist sich aber sicher: „Wenn man mag, wie Rocky spricht, wird man lieben wie er singt.“
Im Ohr bleiben vor allem die beiden größten Hits der Rocky-Filme: „Gonna Fly Now“ und „Eye Of The Tiger“. Wenn Rocky sich dazu fit macht und durch die Straßen joggt, hält es auch die Zuschauer kaum noch auf den Sitzen. Film-Kenner jubeln bei berühmten Szenen - wenn Rocky, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, wieder einmal die Treppe hochrennt oder auch nur, wenn er rohe Eier trinkt. Und natürlich beim Boxkampf, den Sawrich und Terence Archie (Apollo Creed) kraftvoll abliefern. Schließlich sind neben Stallone auch die Klitschko-Brüder Co-Produzenten. Ringrichter, Anzeigentafeln und Live-Übertragungen auf Videowände sorgen für die richtige Atmosphäre. Der verzweifelte „Adrian“-Ruf des kaum noch stehen könnenden Rockys am Ende, der gelingt allerdings im Film besser.
Mit Argusaugen schaue der Broadway nach Hamburg, heißt es beim deutschen Marktführer Stage Entertainment. Denn nicht nur Stallone und Rocky bot sich eine einmalige Chance, sondern auch den hiesigen Musicalmachern. Erstmals soll ein großer, internationaler Musicalstoff von Deutschland aus in die Welt gehe. Bevor „Rocky“ im Operettenhaus an der Reeperbahn die Nonnen von „Sister Act“ nach noch nicht einmal zwei Jahren weggeboxt hatte, lief hier die erste Eigenproduktion von Stage Entertainment: das Udo-Jürgen-Musical „Ich war noch niemals in New York“. Ob „Rocky“ es nach New York schafft?