Castorfs „Rheingold“ fällt beim Publikum durch

Bayreuth (dpa) - Es ist der Jubiläums-„Ring“, entsprechend groß war die Spannung. Doch was Frank Castorf jetzt in Bayreuth vorgelegt hat, enttäuscht bislang. Nach der „Rheingold“-Premiere hagelt es Buh-Rufe.

Die Bravos sind deutlich in der Unterzahl.

Einen Tag vor seiner Premiere als „Ring“-Regisseur auf dem Grünen Hügel stellte Frank Castorf sich den gespannt wartenden Journalisten und sagte folgende Sätze: „Sie können es sich anschauen, mich dann steinigen. Wieso eigentlich ist Petrenko nicht hier?“ Am Abend der „Rheingold“-Premiere in Bayreuth sieht es genau andersherum aus. Dirigent Kirill Petrenko tritt nach der Aufführung vor den Vorhang und das Publikum, Castorf ist nirgends zu sehen. Er und sein Team wollen sich erst nach der „Götterdämmerung“ auf der Bühne zeigen, heißt es von Seiten der Festspiele. Das sei so Usus. Schließlich hat Wagners „Ring“ ja vier Teile.

Eine Steinigung hat Petrenko nicht zu befürchten - ganz im Gegenteil. Erstens sind die Dirigenten von jeher die Helden des Bayreuther Publikums, zweitens hat er bei seinem Bayreuth-Debüt eine tadellose künstlerische Leistung abgeliefert. Die besondere Akustik des Hauses auf dem Grünen Hügel hat er anscheinend problemlos im Griff.

Bei Castorf sieht das anders aus: Der Chef der Volksbühne Berlin hat mit seiner Neuinszenierung von Richard Wagners „Rheingold“ weitgehend einen Fehlstart hingelegt. Einen Großteil des Bayreuther Festspielpublikums kann er nicht von seiner Neuinterpretation überzeugen, es gibt bei der Premiere am Freitagabend wahre Proteststürme. Kräftige Bravos gibt es allerdings auch - die sind aber in der Unterzahl. Merkwürdig uninspiriert kommt sein „Rheingold“ daher, auch wenn sich die Inszenierung alle Mühe gibt, das zu verbergen. Castorf verfrachtet den ersten Teil von Richard Wagners Mammutwerk „Ring des Nibelungen“ in die Vereinigten Staaten der 1960/70er Jahre. Auf einer aufwendigen Drehbühne, die - je nach Ausrichtung - ein Motel oder eine Tankstelle an der berühmten Route 66 darstellt, wird Gott Wotan (Wolfgang Koch) zum Gangsterboss, Zuhälter und Frauenhändler, Fricka (Claudia Mahnke) und Freia (Elisabet Strid) zu seinem Eigentum und Loge (Norbert Ernst) zu einer Art frühem Paparazzo. Die Riesen Fasolt (Günther Groissböck) und Fafner (Sorin Coliban) sind bei Castorf miese Schlägertypen und die glockenhell singenden Rheintöchter (Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau) laszive verführerische Schönheiten, die ihre Spitzenhöschen auf eine Wäschespinne hängen.

Und all das sieht der Zuschauer nicht nur klassisch auf der Bühne, sondern auch auf einer großen Videoleinwand, die immer wieder nicht einsehbare Bühnenbereiche einfängt. Ein Kameramann läuft stets mit und Castorf verlangt damit den Sängern auch schauspielerisch einiges ab. Bis auf die unfreiwillig komischen Prügel-Szenen gelingt das fast immer hervorragend - auch wenn so Gefahr besteht, dass Nebenschauplätze die Zuschauer vom eigentlichen Geschehen ablenken.

Vielleicht ist genau das aber auch die Absicht. Denn was das alles soll, darauf gibt Castorf in seiner Inszenierung keine Antwort. Die Suche nach dem roten Faden verläuft ergebnislos. Die Frage, warum Strid als Freia einen Lack-Catsuit tragen muss wie Pamela Anderson in dem Film-Machwerk „Barb Wire“, bleibt ebenso unbeantwortet wie die, warum Mime (Burkhard Ulrich) die Regenbogenfahne der Schwulenbewegung hisst.

Vieles wirkt bei Castorf wie reine Effekthascherei, Wagners Musik ist bei ihm nicht viel mehr als Grundrauschen, Filmmusik. Das ist streckenweise unterhaltsam, wirklich spannend aber ist anders. Zentrale Frage sei für ihn gewesen: „Was ist heute unser Gold?“, hatte er im Vorfeld gesagt. Und das sei das Öl. Gut, seine Geschichte spielt an einer Tankstelle und einmal schüttet Loge Alberich Öl über den Kopf - weiter geht Castorfs Interpretation hier allerdings nicht. Aber es kommen ja auch noch drei Teile. Weitere Stationen des vierteiligen Zyklus sollen Aserbaidschan und die Wall Street sein.

Für die Sänger - allen voran Martin Winkler als kräftigem Alberich und Claudia Mahnke als Fricka - gibt es berechtigten, begeisterten bis stürmisch-jubelnden Applaus. Besonders gefeiert wird überraschenderweise eine Nebenrolle: Günther Groissböck donnert stimmlich als Riese Fasolt und bekommt dafür ebenso viel Applaus wie die Hauptrollen. Die meiste Zustimmung aber heimst natürlich - und völlig zu Recht - wieder der Mann am Pult ein: der künftige Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München, Kirill Petrenko.