Christian Thielemann, Beethoven und die Schnitzel
Berlin (dpa) - Er hat mit den Wiener Philharmonikern alle Beethoven-Sinfonien aufgenommen - jetzt hat Christian Thielemann (51) aber erst einmal genug vom Meister. „Ich lege eine absolute Beethoven-Pause ein“, sagte Thielemann der Nachrichtenagentur dpa zum Abschluss einer Aufführungsserie der neun Sinfonien am Sonntag in Berlin.
„Ich werde weder in München und später auch nicht in Dresden so schnell wieder Beethoven dirigieren. Wenn man 20 Tage hintereinander Schnitzel gegessen hat, sagt man auch "Jetzt reicht's".“ Mit der Musik gehe es ihm ähnlich.
Mit dem Beethoven-Projekt ging für den Weltklasse-Dirigenten ein Traum in Erfüllung. Die Wiener Philharmoniker zählen zu den besten Orchester der Welt. „Sie können einfach alles - und bleiben dabei immer die Wiener Philharmoniker. Für einen Dirigenten ist das reines Glück.“ Thielemann zählt zu den ständigen Gastdirigenten des Traditionsorchesters. Das Musizieren mit den Wienern werde immer entspannter. „Es hat alles einen netten, gelockerten Tonfall.“
Der 51-Jährige hatte seinen Vertrag mit den Münchner Philharmonikern nach einem Streit mit Kulturpolitikern nicht verlängert und wechselt 2012 an die Spitze der Staatskapelle Dresden.
Thielemann und die „Wiener“ hatten im Musikvereinssaal die Sinfonien live aufgezeichnet, sie erscheinen nun als DVD- Gesamtedition, kommentiert vor der Kamera vom Dirigenten selber im Gespräch mit dem Musikkritiker Joachim Kaiser in HD-Auflösung und „Surround Sound“. Zuletzt hatte Sir Simon Rattle vor zehn Jahren die Beethoven-Serie mit den Wiener Philharmonikern eingespielt.
In vier Tagen hat Thielemann, der seine Karriere als Assistent Herbert von Karajans begonnen hatte, in der restlos ausverkauften Berliner Philharmonie den Beethoven-Marathon durchgestanden. „Sie müssen diesen Schnelldurchlauf unternehmen, um zu kapieren, was diese Musik für ein Gebirge ist.“
Ob „Eroica“, Fünfte oder Neunte - die Annahme, das Publikum sei der Beethoven-Sinfonien überdrüssig, sei falsch. „Fragen Sie mal junge Musiker im Orchester, wann sie die Dritte oder die Fünfte zuletzt gespielt haben. Oder fragen Sie, wie der langsame Satz der Achten geht: Da vergeht lange Zeit, bis sie merken, dass die Achte gar keinen langsamen Satz hat.“
Seit seiner Kindheit habe ihn Beethoven fasziniert. „Kraft, Sensibilität, Hysterie - in den Sinfonien ist alles drin“. Allerdings stößt Thielemanns Zuneigung für den Bonner auch an Grenzen: „Ich weiß nicht, wie sympathisch uns Beethoven gewesen wäre. Das muss ein sehr ungebärdiger Mensch gewesen sein, der 16 Mal in Wien umgezogen ist und sich mit allen Vermietern verkracht hat.“
Die Biografie von Komponisten interessiert den bekennenden Konservativen Thielemann ohnehin wenig - auch im Fall des wegen seines Antisemitismus und NS-Sympathien berüchtigten Hans Pfitzner (1869-1949), dessen Werke Thielemann immer wieder aufgeführt hat. „Den Mann habe ich nicht kennengelernt, er war lange tot, bevor ich geboren bin.“ In Anspielung auf Richard Wagner und dessen Aufsatz „Das Judentum in der Musik“ sagte Thielemann: „Lasst die Komponisten sein, wie sie wollen. Wir beschäftigen uns nicht mit ihren Schriften, sondern vor allem mit den Noten, die sie aufgeschrieben haben.“
Auch in Interpretationsfragen verweigert sich Thielemann ideologischen Grabenkämpfen, etwa bei der historischen Aufführungspraxis mit kleinem Orchester und einem schlanken Klang. „Das ist auch eine Modesache, so wie Coco Chanel das "Kleine Schwarze“ erfunden hat.“