Damon Albarn blickt in den Rückspiegel
Berlin (dpa) - Von einem hyperaktiven Hipster wie Damon Albarn war nicht unbedingt ein ruhiges, nostalgisches Solodebüt zu erwarten. Nun hat der Britpop-Avantgardist genau diese Platte gemacht: zwölf schöne Songs über das England von einst - und Probleme von heute.
Rastlos umrundete er die Welt auf der Suche nach immer neuen musikalischen Ideen. Dem Welterfolg seiner Britpop-Band Blur folgten Dancefloor-Ausflüge, Avantgarde- und Weltmusik-Projekte. Nun veröffentlicht ausgerechnet der stets vorwärts strebende Albarn sein erstes echtes Soloalbum als melancholischen Rückblick auf die eigene Jugend im England der 70er/80er Jahre - und als Warnung vor der Technologiegläubigkeit im Hier und Jetzt.
„Everyday Robots“ (Parlophone/Warner) wird viele überraschen, manche Albarn-Fans auch irritieren. Aber wer hier keine knackigen Grooves oder abgedrehte Klangexperimente erwartet, dürfte mit dieser reifen, eleganten Platte auf Dauer doch glücklich werden.
Albarn war nach dem vorläufigen Blur-Abgesang „Think Tank“ (2003) Mastermind der virtuellen Elektro-Band Gorillaz sowie Frontmann von The Good, The Bad & The Queen oder Rocket Juice & The Moon. Deren teils anstrengende Hibbeligkeit fehlt den zwölf Songs von „Everyday Robots“ gänzlich. Der 46-Jährige singt mit oft wehmütiger Stimme, die Beats tröpfeln vor sich hin (nur im fröhlichen Afropop-Kinderlied „Mr Tembo“ wird's etwas flotter), zarte Streicher- und Bläser-Arrangements untermalen die introspektive Stimmung der Lieder.
Und Albarn spielt ganz viel (und hübsch melodisch) Klavier - dieses Instrument dominiert den Sound der Platte. Das Piano sei „eine alte Liebe. Sie hat sich durch die Beschäftigung mit den Bildern aus meinem Leben, die dem Album zugrunde liegen, ganz automatisch in den Vordergrund gedrängt“, sagte er dem „Musikexpress“.
Zu den nostalgischen Details der Platte zählen auch Gospelgesänge eines Kirchenchors aus dem Londoner Stadtteil Leytonstone, in dem Albarn seine ersten Lebensjahre verbrachte. „Eine schöne Kindheitserinnerung - ich stand vor der Kirche und hörte die Musik von da drinnen“, so begründete er die Idee im britischen „Uncut“.
Als Songwriter begnügt sich Albarn freilich nicht mit dem Blick in den Rückspiegel, er liefert auch (skeptische) Gegenwarts-Analyse. Im Titelsong hört sich das so an: „We are everyday robots at our phones, looking like standing stones, out there on our own...“ Der heutige Mensch als einsame, roboterhafte Kreatur, das Mobiltelefon immer griffbereit - ein sehr kraftvolles Bild.
Und ein überraschend pessimistisches - bedenkt man, dass Albarn im Gegensatz zur Britpop-Konkurrenz Oasis nie nur „retro“ war, sondern an der Spitze mancher Bewegung. „Ich habe für diese Platte eine sehr persönliche Erzählweise gewählt, aber die zentrale Frage der Moderne, ob Technologie eine aufklärende oder eine beschränkende Funktion für unser Leben hat, schwingt im Subtext immer mit“, so Albarn im Magazin „Spex“.
Er selbst gerate „bereits in Panik, wenn ich zwei E-Mails auf einmal bekomme. Ich nutze keine sozialen Medien, bewege mich selten im Internet - ich bin einfach nicht für diesen Kram gemacht.“ Viel lieber komponiert er daher derzeit - Musik für Spieldosen.
Als Herz und Hirn von Blur hatte Albarn während der 90er Jahre den Britpop in der Nachfolge von The Beatles oder The Kinks auf eine neue Stufe gehoben, Millionen Alben verkauft und zahllose Auszeichnungen eingeheimst. Danach war die Welt mit all ihrer Musik - besonders der afrikanischen - kaum groß genug für seine Ambitionen.
Jetzt hält Damon Albarn also mit einer heimeligen und dabei sehr schönen Soloplatte ein wenig inne. Nach 25 atemlosen Jahren im Pop-Geschäft darf er sich einen Anflug von Genügsamkeit leisten.
Konzerte in Deutschland: 30.6. Berlin, 1.7. Hamburg