David Helfgott packt jetzt auch Rachmaninow
Berlin (dpa) - Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 3 trieb David Helfgott in den Wahnsinn. 1970 brach der australische Pianist unter dem Druck des technisch hochkomplizierten Werkes zusammen, er leidet an einer besonderen Form von Autismus.
Am Samstag (19. Mai) wird er 65 Jahre - und ist derzeit ausgerechnet mit seinem Teufelsstück in Deutschland auf Tournee. „Es ist wunderbar, es ist mein absolutes Lieblingsstück“, sagt Helfgott im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
Millionen Menschen kennen sein Schicksal aus dem Film „Shine“: Schauspieler Geoffrey Rush erhielt 1997 für die Darstellung des zwischen Genie und Wahnsinn zerrissenen Pianisten einen Oscar. Der Soundtrack mit Helfgotts Einspielung der „Dritten“ führte monatelang die internationalen Hitlisten an, seine Konzerte wurden weltweit zu einem Siegeszug. Kritiker monierten freilich auch die Vermarktung seiner Leidensgeschichte und warfen ihm mangelnde Virtuosität vor. Die Zeitung „Die Welt“ sprach gar von einem „dubiosen Tastentrottel“.
Derzeit ist Helfgott mit den neu gegründeten Stuttgarter Symphonikern auf Tour - und straft alle Zweifler Lügen: Sowohl beim Auftakt in Wien wie auch vergangene Woche in Dortmund forderte das Publikum laut Veranstalter mit Ovationen sage und schreibe fünf Zugaben ein. „Nicht nur die Zuhörer, auch die Musiker sind zu Tränen gerührt“, berichtet Orchestergründer Walter Schirnik. „Helfgott spielt so ehrlich und leidenschaftlich, dass der Funke auf alle überspringt.“
„Schizoaffektive Störung“ nennen die Experten die Krankheit des Musikers. „Ich fühle mich gut, wie ein Känguru“, so sagte er selbst der dpa bei einem Berlin-Besuch im vergangenen Jahr. „Der Arzt hat mir ein paar Sachen verschrieben, aber ich halte nichts von Medizin.“ Seine um 15 Jahre ältere Frau Gillian, die ihm in den 80er Jahren nach seinem psychischen Absturz langsam wieder auf die Bühne half, ist seither stets an seiner Seite - als Ersatzmutter, Geliebte und Dolmetscherin.
„Er denkt zu schnell. Deshalb bekommt er etwas, das ihn ein bisschen runterdimmt. Sonst kriegt er einfach zu viele Informationen auf einmal“, sagt sie. Keine Sekunde kann der kleine, schmächtige Mann mit den dicken Brillengläsern stillsitzen. Er rutscht umher, fuchtelt mit Armen und Beinen, küsst und herzt selbst wildfremde Menschen. Einmal überschlagen sich seine Gedanken, ein andermal bleibt er beim immergleichen Wort hängen. Das deutsche Publikum etwa findet er „wunderbar, wunderbar, wunderbar“ und freut sich wie ein Kind.
Als der wahre Grund für seine Krankheit gilt vor allem das schwierige Verhältnis zum ehrgeizigen, herrschsüchtigen Vater (in „Shine“ brillant gespielt von Armin Mueller-Stahl). Der jüdische Einwanderer aus Polen, selbst aus bescheidenen Verhältnissen, wollte den begabten Sohn um jeden Preis zum Star machen. Zunächst begann tatsächlich eine glänzende Karriere, bis er nach zunehmenden emotionalen Störungen 1970 völlig zusammenbrach. Es folgten Jahre in der Nervenheilanstalt, die Ärzte verboten ihm das Klavierspielen.
Als die Astrologin Gillian ihn 1983 kennenlernt, ist er mit 36 Jahren am Ende. „Ich hatte die Musik verloren. Aber der Nebel hat sich gelichtet. Ich habe überlebt“, sagt er heute. Ob er mit 65 nicht langsam an den Ruhestand denkt? „Oh nein, nie, nie, nie. Wer mir die Musik wegnimmt, nimmt mir mein Leben.“