Die Toten Hosen packen aus

Düsseldorf (dpa) - Ihr Hit „Tage wie diese“ ist eine Mainstream-Hymne: Er wird in Brasilien nach dem deutschen Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft ebenso gespielt wie auf der CDU-Party nach der Bundestagswahl.

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Die Kanzlerin ruft danach beim „lieben Herrn Campino“ an und entschuldigt sich, „weil wir ja so auf ihrem Lied herumgetrampelt sind“. Nach 32 Jahren Punkrock finden sich die Toten Hosen, gestartet als Außenseiter und Bürgerschreck, plötzlich höchst erfolgreich in der Mitte der Gesellschaft wieder - nun ziehen sie umfassend Bilanz.

Dem „Spiegel“-Redakteur Philipp Oehmke hat die Rockband für eine fast 400 Seiten starke Biografie umfassend Auskunft gegeben. Sänger Campino hat sogar Einblicke in seine Tagebücher gewährt. „Ich finde, dass die Band, was ihr persönliches Leben betrifft und ihren Umgang miteinander, an ihre Schmerzgrenze gegangen ist“, sagt Oehmke über die Offenheit der Musiker. „Da sind genügend Stellen dabei, an denen der ein oder andere von uns schluckt“, sagt Campino in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa über das Buch.

Es schildert die Kindheit und Jugend der späteren Band-Mitglieder in einer scheinbar heilen bürgerlichen Welt. Campino wird als Wehrpflichtiger sogar noch Kompanie-Bester, bevor er verweigert. Schließlich entfliehen die Jung-Punker der Vorgarten-Idylle Düsseldorfer Vorstädte und sind jahrelang als prügelnde und rollende Drogen-WG unterwegs.

Mitten auf einer Kreuzung in Zürich legen sie Kokainlinien in alle Himmelsrichtungen. Auch Alkohol, Speed, Ecstasy und Heroin spielen in der Band und ihrem Tross eine Rolle. Nicht alle haben diesen Lebensstil überlebt.

„Ich hoffe, dass zumindest meine Familie, insbesondere meine Kinder und die Polizei, diese Biografie nie zu Gesicht bekommen“, wird Band-Kollege Kuddel zitiert.

Machtgefälle und Spannungen innerhalb der Band werden seziert, der schwierige Umgang mit Vätern, die aus dem Weltkrieg zurückgekehrt waren - bis zum Bruch mit dem Elternhaus. „Das hatte einen therapeutischen Ansatz“, sagt Campino über das Entstehen der Biografie in oft quälend langen Diskussionsrunden („Die Toten Hosen - Am Anfang war der Lärm“, Rowohlt, Erstverkaufstag 21. November 2014).

Das Buch offenbart erstmals einen kuriosen Drogendeal: Als Vorband der Rolling Stones haben sich die „Hosen“ einen besseren Sound mit Kokain erkauft. Jeder zusätzliche Kanal auf dem Mischpult wurde der Stones-Crew mit einem Gramm der Droge entgolten. Der Dealer der Toten Hosen, zugleich ihr Fahrer, musste sogar ins Gefängnis, als er mit einer größeren Menge Nachschub erwischt worden war.

Bei ihrer Tournee 1985 war die Band bei 28 Auftritten 17 Mal in Schlägereien verwickelt. Sogar mit Musikerkollege Bela B. von den Ärzten kam es zu einer Keilerei mit Campino und Co.. Auf Helgoland bekommen die Hosen Auftrittsverbot; ein CSU-Gemeinderat, der ihnen einen Videodreh in einer Kirche genehmigt hat, tritt zurück. Es wird zunehmend schwierig, Hotelzimmer für die berüchtigte Band zu buchen.

Das ist Geschichte, die Band hat sich auf ihren Tourneen längst Abstinenz verordnet. Mit 1,1 Millionen Zuschauern hat ihre letzte Tournee in Deutschland Rekorde gebrochen.

Eine Band mit einem Verlierer-Namen, die das Publikum aber live - manchmal sogar wörtlich - aus den Socken haut, das ist der Markenkern der Toten Hosen - ein Anspruch, der nach der waghalsigen Bühnen-Artistik der vergangenen Jahrzehnte immer schwerer zu erfüllen ist.

Vor dem letzten Album „Ballast der Republik“ kam die Band monatelang aus einer tiefen kreativen Krise nicht heraus, wurden Campino „depressive Stimmungsschwankungen“ attestiert. Nach der von der Nationalelf gewonnenen WM sollten sie auf der Fanmeile in Berlin vor 400 000 Menschen spielen, haben aber einstimmig abgelehnt. Stattdessen geht es im Dezember nach Myanmar. In totalitären Staaten ein paar Funken Anarchie zu versprühen, wie vor 1989 im Ostblock, auch das gehört zur Geschichte der Toten Hosen.