Ein Dutzend Zuschauer nach „Tannhäuser“ beim Arzt
Düsseldorf (dpa) — Dass eine Oper zu Gesundheitsbeschwerden führt, dürfte höchst selten vorkommen. Nach der „Tannhäuser“-Premiere in Düsseldorf mit Holocaust- und Erschießungsszenen haben sich gleich ein Dutzend Zuschauer zum Arzt begeben.
Rheinoper-Intendant Christoph Meyer reagierte so bestürzt, dass er die drastische Inszenierung von Regisseur Burkhard C. Kosminski nur vier Tage nach der Premiere absetzte.
Seit Donnerstag wird Wagners „Tannhäuser“ nur noch konzertant aufgeführt - auf der Bühne stehen lediglich drei lange Reihen roter Stühle. Bei der Premiere hatte eine Gaskammerszene, in der nackte Statisten in einem vernebelten Glaswürfel zu Boden sinken, die Zuschauer verstört. Zu empörten Tumulten kam es dann, als Tannhäuser als Nazi mit Hakenkreuzbinde eine Familie erschießt.
Wenige Wochen vor den Feiern zum 200. Geburtstag des großen romantischen Komponisten wird auch die Debatte um Wagners Antisemitismus und seinen Einfluss auf die Nazi-Ideologie wieder angetrieben. Die Mehrheit der Forscher trennt bisher zwischen der Person Wagners und seinen judenfeindlichen Äußerungen auf der einen und dem musikalischen Werk auf der anderen Seite. Auch der Direktor der Düsseldorfer jüdischen Gemeinde, Michael Szentei-Heise, sagte, Wagner sei zwar ein „glühender Antisemit“ gewesen, aber das spiegele sich nicht in seiner Musik und den Libretti wieder.
Der Wissenschaftler Jens Malte Fischer sieht das anders. „Ich gehöre zu der Minderheit, die sagt, es gibt Spuren von Antisemitismus in Wagners Werk“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Anspielungen sieht Fischer in bestimmten Figuren etwa im „Ring des Nibelungen“ oder im „Parsifal“.
Bei Wagners Oper „Tannhäuser“, der auf Sagen um den Sängerkrieg auf der Wartburg und dem Venusberg basiert, hat bisher noch niemand antisemitisches Gedankengut vermutet. Regisseur Kosminski ging es mit der Verortung in die Nazi-Zeit vielmehr um das große Thema Schuld und Erlösung.
Eine Diskussion über die Tragweite der umstrittenen Düsseldorfer Inszenierung wird es nun nicht mehr geben, weil sie nur noch konzertant aufgeführt wird. Auch das findet nicht jeder gut. Kosminski wirft der Oper eine Art Zensur vor. Auch im ehrwürdigen Freundeskreis der Oper hätte mancher die Inszenierung sehen wollen, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können.
Überhaupt werden umstrittene Werke eher selten von den Spielplänen der Bühnen gestrichen. 2006 setzte die Deutsche Oper Berlin aus Sorge über mögliche islamistische Anfeindungen die Wiederaufnahme der Mozart-Oper „Idomeneo“ ab. In der Inszenierung von Hans Neuenfels präsentierte König Idomeneo die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohammed. Schon bei der Premiere im Dezember 2003 hatte es Publikumstumulte gegeben.
Öffentlich gefordert hatte die Absetzung des „Tannhäuser“ übrigens niemand, nicht einmal jüdische Verbände. Anders war es 2009, als das Mülheimer Theater an der Ruhr das als antisemitisch kritisierte Fassbinder-Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ erstmals in Deutschland auf die Bühne brachte. Jüdische Verbände hatten vergeblich gegen die Inszenierung, die ein 25-jähriges Tabu brach, protestiert.
2010 revoltierten Zuschauer im Düsseldorfer Schauspielhaus mehrere Abende bei einer drastischen Inszenierung des Stücks „Rechnitz (Der Würgeengel)“ von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek über ein SS-Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern nach einem Nazi-Gefolgschaftsfest. Dem Schauspielhaus gelang es, mit Einführungen und Podiumsdiskussionen die Gemüter zu beruhigen.
Diskussionen hätte sich auch Kosminski zum „Tannhäuser“ gewünscht. Doch Opernintendant Meyer steht zu seiner Entscheidung. Allein vor dem roten Vorhang auf der Bühne stehend sagte er am Donnerstag: „Ich muss die menschliche Gesundheit über die künstlerische Freiheit stellen.“