The National: Die Kunst, sich treu zu bleiben

In die Jahre gekommen? Ach was! Das New Yorker Quintett "The National" beweist auch auf Album sechs Sinn für große Melodien.

Düsseldorf. 22 Monate Tour waren durch, und schon ging es wieder von vorne los: nächstes Album, nächster Zyklus. So läuft es bei The National. Die Indie-Rockband aus Brooklyn, New York, kennt derzeit keine längeren Pausen.

Nach ihrem kommerziell erfolgreichen letzten Werk „High Violet“ (2010), das sich weltweit mehr als 600 000 Mal verkaufte und von Kritik und Fans als Meisterwerk gefeiert wurde, nahm Haupt-Songschreiber Aaron Dessner sofort die Arbeit am Nachfolger auf.

Den melancholischen Hymnen aus Gitarren, Streichern und Bläsern folgt nun mit „Trouble Will Find Me“ ein erneut beachtliches Songpaket. Das sechste Album des Quintetts, das sich 1999 in Ohio aus der Freundschaft zwischen Sänger und Texter Matt Berninger sowie Bassist Scott Devendorf bildete, entstand in völliger Abgeklärtheit.

„In den vergangenen zehn Jahren waren wir immer hinter etwas her und wollten etwas beweisen. Dabei ging es darum, unsere eigene Unsicherheit zu widerlegen“, sagt Berninger. „Ich denke, nach der langen Tour zu ‚High Violet‘ waren wir nun endlich an diesem Punkt angelangt. Wir konnten uns jetzt entspannen — nicht bezogen auf unseren eigenen Anspruch, aber wir mussten unsere ‚Identität‘ nicht länger beweisen.“

Der dauerhafte Zusammenhalt als unverändertes Kollektiv stärkt die Band. Anders als musikalische Eintagsfliegen, die ebenso schnelllebig wie der Chart-Sound sind, zählen The National zur Sorte Berufsmusiker auf Lebenszeit.

„Ich mag diese Bands, die sich weiterentwickeln und ihre Identität, die ihren einzigartigen Sound und Charakter ausmacht, bewahren“, erklärt Scott Devendorf, dessen Bruder Bryan am Schlagzeug sitzt. Die beiden sind neben den Zwillingen Bryce und Aaron Dessner das zweite Bruderpaar der Gruppe.

Auch diese Verwandtschaften festigen das Gemeinschaftsgefühl von The National. Intrigen und Konkurrenzkampf gibt es nicht — das steigert die Motivation. „Wir wissen zwar, was wir machen, möchten uns aber auch immer nach vorne bewegen. Dabei hilft es uns zurückzuschauen und auf diese Weise neues Material mit Brennstoff zu versorgen — mit Dingen, die wir lieben und solchen, die wir selbst einmal gemacht haben“, ergänzt Scott und resümiert: „Einerseits liefern wir also komplett neues Zeug, und andererseits basiert Neues auf dem gerade Beschriebenen.“

Herausgekommen ist ein persönlicheres Album mit Referenzen an Vorbilder wie Elliott Smith, Morrissey oder Nirvana, die Berninger in die gewohnt verkopften und tiefgründigen Texte verpackt hat. Die romantische Melancholie der Musik äußert sich erst in Berningers Betrachtungen von Menschen und ihren Beziehungen untereinander.

Inwieweit jede Handlung eines Menschen Folgen nach sich zieht, lässt sich nicht beweisen. Doch genau diese grenzüberschreitenden Gedanken machen das aus, was die Fans in den Bann zieht. Und im Einklang damit scheuen The National auch nie davor zurück, ihren eigenen Horizont mit ungewöhnlichen Handlungen zu erweitern. Anfang Mai zuletzt, als der isländische Künstler Ragnar Kjartansson sie für ein rekordverdächtiges Ereignis gewinnen konnte: Im PS1 in Queens, einem Ableger des Museum of Modern Art, gaben The National ein sechsstündiges Konzert.

Das künstlerische Ziel war die Wirkung einer „plastischen Ausstrahlung des Klangs“ (Kjartansson) durch die unentwegte Wiederholung. Besucher konnten für 15 Dollar erleben, wie The National ihren bisher größten Hit „Sorrow“ knapp hundertmal hintereinander spielten — und wie er sich trotzdem nicht abnutzte. Das ist große Kunst.