Auf Scheibe Ein Hoch auf Vinyl - Record Store Day

Ulm (dpa) - Bei Martin Maag bekommen Kunden einiges zu hören: Jede Menge Schallplatten - und flotte Sprüche. „Im Plattengeschäft“, sagt der Inhaber des „Sound Circus Ulm“, „musst Du Menschen und Gespräche mit ihnen lieben.

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Sonst kannst Du Dich gleich mit 'ner Kalaschnikow hinter Deiner Ladentheke verschanzen.“ Ulmer mögen ihren coolen „Platten-Martin“. Auch von weiter her kommen Vinyl-Freunde, um sich von dem „Berufsjugendlichen“ (Maag über Maag, 54) beim Kauf schwarzer Scheiben beraten - und unterhalten - zu lassen. Am Samstag (22.4.) feiert der bald 30 Jahre alte „Sound Circus“ wie rund 2000 ähnliche Geschäfte weltweit wieder den Record Store Day (RSD), den internationalen Tag der unabhängigen Plattenläden.

Darunter sind rund 190 Läden in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Idee wurde vor zehn Jahren in den USA geboren. Damals schien das Aussterben der Vinylplatte angesichts der Konkurrenz durch CD und Internet fast besiegelt zu sein. Um die Platte und die kleinen Plattenläden zu retten, brachten Musiker speziell für den RSD produzierte oder neu aufgelegte Alben, Maxis oder Singles auf Vinyl heraus. Zum nunmehr 10. Record Store Day sind es mehr denn je.

„Bestellen und kaufen kann man diese Scheiben allein in unabhängigen Läden, also nicht in Großmärkten und bei Online-Händlern“, sagt der Hamburger RSD-Koordinator für den deutschsprachigen Raum Jan Köpke (47). Stars wie Bruce Springsteen halfen der Retro-Bewegung einst auf die Beine: „Ich lasse schnell mal 500 Dollar in einem Plattenladen“, ließ er sich damals öffentlich zitieren.

Neben gerade angesagten Musikern gibt es diesmal eine Huldigung „kürzlich verstorbener Legenden“. Unter ihnen der einstige RSD-Botschafter Lemmy Kilmister mit Auskoppelungen seiner Band Motörhead. David Bowie steht auf der Liste der Sonderpressungen ebenso wie Prince.

Pink Floyd bringt zum 10. RSD die Picture Disc „London 1966/1967“ heraus - mit Bildern statt der schwarzen Farbe auf der Vinylscheibe. Vertreten sind auch Pearl Jam, Paul McCartney, die Sex Pistols und viele andere. Die Hamburger Hip-Hop- und Pop-Gruppe Fettes Brot bietet orangefarbenes „Brot der frühen Jahre“ von 1992-1994 sowie 1996-1997.

Insgesamt ist das Angebot kaum noch überschaubar. Die Veranstalter verweisen auf eine hohe Nachfrage angesichts des seit einigen Jahren anhaltenden Booms. „Vinyl kommt eindeutig wieder“, sagt auch der seit gut 20 Jahren tourende DJ Matze Ihring (52), der zugleich Musikchef beim privaten Südwest-Regionalsender Radio 7 ist. „Auch aktuell angesagte Künstler wie Ed Sheeran oder Tim Bendzko bringen neue Veröffentlichungen heute gleichzeitig als Vinyl-Scheiben raus.“

Nicht nur zu Hause, sondern auch bei seinen DJ-Shows legt Ihring längst wie früher Vinylscheiben auf. Zugleich macht er sich lustig über „Laptop-DJs“, die fertige Programme vom USB-Stick abnudeln. „Es gibt ein Umdenken - bei DJs, Plattenfirmen und den Künstlern - hin zu warmer, physischer, fühlbarer Musik von der Platte.“ Und das, obwohl analoge Aufnahmen technisch nicht so perfekt seien wie digitale.

Zu den „Old-School-DJs“ gehört auch Plattenladenbetreiber Maag. Wer ihn auf die Bühne holen will, muss tolerant sein: „Ich spiele, was ich will, und ich spiele allein Vinyl, nur so kannst Du mich buchen.“ Über das kommerzielle Ausmaß der Rückbesinnung auf die Platte macht Maag sich aber keine Illusionen: „Das wächst nicht in den Himmel.“

Nach Angaben des Branchendienstes gfu wurden 2016 in Deutschland 3,1 Millionen Schallplatten verkauft. Gegenüber 2015 stieg der Umsatz um 40 Prozent auf 70 Millionen Euro. Doch Verkaufszahlen wie vor Jahrzehnten, sagt Maag, werde Vinyl nie mehr erreichen: „In den 60ern hat allein Freddy Quinn mit einem Hit jeweils mehr als drei Millionen Platten verkauft - und zwar innerhalb eines Monats.“

Branchenexperten bleiben aber optimistisch, dass die Schallplatte sich dauerhaft in einer Nische etablieren wird: „Viele Menschen mögen den entschleunigten Musik-Genuss und die verbundene Vorfreude darauf bereits beim Auspacken der Schallplatte“, sagt gfu-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Kamp.

Eine Platte lasse sich halt nicht wie eine CD oder ein Song im Stream beliebig vor- oder zurückkurbeln, machen eingefleischte „Vinylisten“ geltend. Sie aufzulegen sei eine bewusste Entscheidung für stilvolles Zuhören. „Das ist wie der achtungsvolle Umgang mit einem Stück Kunst“, schwärmt Maag. „Und der Sound ist ganz anders, einfach runder“, sagt Ihring. „Da darf es auch mal knistern oder ruckeln. Dann bekommen die Leute auf der Tanzfläche wenigstens mit, dass da einer wirklich live auflegt und nicht nur aufs Knöpfchen drückt.“