Konzertkritik Zu Besuch im Wohnzimmer von Bob Dylan
Der Künstler selbst bleibt unnahbar. Aber sein Publikum in Düsseldorf muss auf Intimität dennoch nicht verzichten.
Düsseldorf. Man kann zu einem Bob-Dylan-Konzert gehen wie Thomas (54). Die Konzertbesuche seit seiner ersten Dylan-Begegnung im Jahr 1984 — ungezählt. Die Dylan-LPs und -CDs zu Hause — ungezählt. Die Bücher über Dylan im heimischen Regal — ungezählt. Trifft man zu früh an der Mitsubishi-Electric-Halle in Düsseldorf ein und kommt mit ihm ins Gespräch, überbrückt er mühelos die Zeit bis zum Beginn mit Geschichten, Erinnerungen, Einordnungen. Man kann auch zu einem Bob-Dylan-Konzert gehen wie Martin (48). Was er von dem Musiker kennt? „Blowin‘ in the wind.” Das war’s. Wer von den beiden ist dem Universalkünstler näher gekommen?
Die Antwort, möchte man kalauern, verweht im Wind. Denn es zählt zu den besonderen Merkmalen des inzwischen 75-Jährigen, dass er auch den glühendsten Anhängern mit seinen fortwährenden Wandlungen immer wieder Rätsel aufgibt. Das lässt sich in Düsseldorf ausgerechnet an „Blowin‘ in the wind“ gut ablesen, dieser in mehr als einem halben Jahrhundert millionenfach im Feuerschein zu Tode geklampften Anti-Kriegs-Hymne.
Dylan hat sie als erste Zugabe ausgewählt, aber zu erkennen ist sie nur noch an der legendären ersten Textzeile „How many roads must a man walk down“. Von der Mundharmonika-und-Akustikgitarren-Glückseligkeit verblichener Folkzeiten ist nichts übriggeblieben, von der Melodie auch nicht, von Dylans Stimme schon gar nicht. Stattdessen ein völlig umgekrempelter musikalischer Rahmen - von der fantastischen fünfköpfigen Begleitband so kompakt wie lässig gezogen, dass sich der Song mühelos in das Gesamtkunstwerk des Abends einfügt.
Eigene Stücke, fremde Stücke, frühe Phase, späte Phase? Im Prinzip spielt das keine Rolle, denn für Dylan ist das alles nur ein gigantisches Arbeitsmaterial. Vielleicht auch deshalb klingt seine Kinderschreck-Stimme, wenn der Sprechgesang am Ende der Textzeilen meist nach unten wegkippt, als suche da gerade jemand in der Werkzeugkiste nach dem passenden Schraubenschlüssel. Dylan hat die amerikanische Musikkultur zugleich aufgesogen und geprägt wie kaum ein anderer. Und jetzt bedient er sich in beiden Quellen (der fremden wie der eigenen) nach Belieben und setzt die Fundstücke zu seinen besonderen Bedingungen immer wieder neu zusammen.
Da wird in der Mitte des Konzerts im gerade fünf Jahre alten erdigen „Early roman kings“ das „Mannish boy“-Riff der Blues-Legende Muddy Waters zitiert und acht Songs später mit „Autumn leaves“ ein Millionenhit zum Besten gegeben, an dem sich auch schon Marlene Dietrich und Frank Sinatra abgearbeitet haben und bei dem Dylans Stimme überraschend doch noch die Gabe der Melodieführung erkennen lässt. Und diese großen Bögen werden so mühelos und beiläufig geschlagen, wie es nur jemandem gelingen kann, dessen musikalisch-künstlerische Werkzeugkiste eben nicht feinsäuberlich getrennt ist, sondern kreativ verhakt und vor allem ständig im Gebrauch — in seiner „Never ending Tour“ mit jährlich um die hundert Konzerten.
Ist Bob Dylan ein Star? Man mag das Wort nicht verwenden, weil seine Ausstrahlung damit nicht wirklich zu fassen ist. Wenn er breitbeinig mit leicht gebeugten Knien am Flügel steht, bleibt unklar, ob es sich dabei um eine missratene Rockerpose oder um nur leidlich kaschierte Rückenprobleme handelt. Und die tänzelnden Bewegungen mit dem Mikrofonständer wirken eher tapsig bis unbeholfen. Selbstredend wendet sich der Literaturnobelpreisträger auch mit keinem Wort direkt an sein Publikum. Die einzige Zuwendung bleibt ein kurzer Moment, in dem alle sechs Musiker nach dem letzten Lied stehend in Richtung Saal blicken — natürlich ohne Verbeugung.
Dylans alleinige Publikumsansprache ist sein Werk, „die ständige Beweglichkeit als Lebensform“, wie sein Biograf Heinrich Detering schreibt. Und die Intimität, die Dylan als Person vermissen lässt, erzeugt in Düsseldorf seine Bühne: Scheinwerfer, sichtbar aufgeständert und behutsam eingesetzt, schaffen eine Mischung aus Theater-, Club- und Wohnzimmeratmosphäre. Das Publikum ist zu Gast bei einem verschrobenen Genie, das viel zu sehr mit seiner eigenen Welt beschäftigt ist, um noch Zeit für Arroganz, Nobelpreise oder gehegte Erwartungen zu haben.
Man kann ein Bob-Dylan-Konzert bilanzieren wie Thomas. Der fasst die 21 Stücke des Abends in dem Gedanken zusammen, Dylan habe es mit seinem Programm geschafft, John Lee Hooker und Frank Sinatra gemeinsam auftreten zu lassen, und damit das alte Versprechen der 60er eingelöst, das schwarze und das weiße Amerika zu versöhnen. Man kann ein Bob-Dylan-Konzert auch bilanzieren wie Martin: „Das ist eigentlich eine ganz coole Sau.“