Ellie Goulding: Immer geradeaus in den Pop-Olymp
Preisgekrönt, hochgelobt — und Liebling der Royals. Ellie Goulding ist in nur drei Jahren in die internationale Spitze des Pop vorgestoßen. Ihr zweites Album: ein kleiner Geniestreich.
Düsseldorf. An einem Morgen im Jahr 2004 wachte Ellie Goulding auf, verspürte nach eigener Aussage den dringenden Wunsch zu laufen — und rannte nach dem Frühstück einfach los. Bis heute hat sie damit nicht mehr aufgehört. Jeden Tag joggt die Engländerin ihre sechs Meilen.
Zumindest wenn sie Zeit dazu hat, denn: Seit 2010 ist Ellie Goulding nicht mehr nur irgendeine junge Joggerin. Seitdem ist sie ein joggender Popstar und viel beschäftigt, weil auch der Popstar in ihr nicht ans Stehenbleiben denkt. Seit gestern steht ihr zweites Album „Halcyon“ in den Regalen. Es wird wohl nur der vorläufige Höhepunkt sein, ein Etappenziel der mittlerweile 25-Jährigen auf dem Weg in die heiligen Hallen der großen Songschreiber dieser Welt.
„Halcyon“ klingt viel zu ambitioniert, um ans Aufhören zu denken. Mit all seiner Wucht ist es ein Spiegel des bisherigen Karriere-Verlaufs von Ellie Goulding: geradeaus und immer rein in Ohr und Herz. Ihr Leben lang schon habe sie Songs geschrieben, sagt sie selbst von sich — und hat noch andere Referenzen: Mit neun Jahren spielte sie Klarinette, mit 14 Gitarre. Mit 15 gewann sie ihren ersten Gesangswettbewerb an der Schule.
Mit 21 brach sie ihr Studium ab und zog aus der englischen Provinz in Herefordshire nach London, um in Pubs aufzutreten. Mit 23 hatte sie ihren ersten Plattenvertrag bei Polydor in der Tasche. Der Rest ist bekannt: Ellie Goulding rannte immer weiter und schneller als die meisten anderen. Ihre erste Single „Under The Sheets“ schlug Ende 2009 bei für solche Jungstar-Biografien ohnehin schnell zu begeisternde Musikjournalisten mit voller Wucht ein: In nur einem Jahr schaffte es Ellie Goulding, mit dem „Critics Choice Award“ und dem „Sound of 2010“ gleich zwei renommierte Nachwuchspreise im selbsterklärten Mutterland des Pop zu gewinnen.
Ihr Debütalbum „Lights“ verkaufte sich mit seinen zwischen Indiepop, ein ganz klein wenig Folk und jeder Menge Dancefloor schwankenden Klängen so gut (Doppel-Platin in den USA, Nummer eins in Großbritannien), dass es keine zwölf Monate später gleich nochmal und um Bonustracks erweitert als „Bright Lights“ aufgelegt wurde.
Goulding schrieb zwei Songs für Deutschlands Grand-Prix-Goldkehlchen Lena („Not following“, „Who’d want to find love“). Sie war mit dem Lollapalooza, dem Coachella und dem Isle of Wight Gast bei den größten Festivals im englischsprachigen Raum. Und sie trat sogar nach persönlicher Einladung während der Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton auf. Höher einzuschätzen wäre nur noch ein Kammerkonzert im Schlafgemach der Queen.
Und jetzt kommt „Halcyon“ und ist sogar noch besser als „Lights“ — weil es düsterer, schwerer, emotionaler, aufregender und reifer ist. Natürlich hört man hier und da doch sehr deutlich eine Indie-Ikone wie Björk oder deren Nachfolgerinnen Lykke Li und Florence Welch (Florence & The Machine) heraus. Das mag sogar Kalkül sein, frei nach dem Motto: Dieser Markt ist da und er wächst.
Aber letztlich steckt Ellie Goulding sie mit ihrer Stimme dann doch alle in die Tasche. Zwischen tiefer Depression und hoher, schriller Verzweiflung — soll heißen: zwischen Bass- und Sopranstimme — liegen bei ihr keine Welten. Diese Palette der Emotionen bricht vielmehr in stetem Wechsel und erschreckend greifbar aus der Künstlerin heraus.
Was nicht heißen soll, dass „Halcyon“ ein Album für Leidende ist. Im Gegenteil: Verpackt in mit viel Hall unterlegten Wave-Pop, dezente Akustik-Anleihen und einmal mehr kräftigen Dancefloor, blüht hier das helle Indie-Leben mitreißend und eingängig. Man könnte es auch so sagen: Während eine wie Madonna sich auf immer kleineren Tanzflächen noch als Königin des Pop zu inszenieren versucht, tanzt und singt Ellie Goulding schon mit Lady Gaga, Lana Del Rey und Co. im Riesen-Club nebenan.
Sowas muss geradezu jede Menge Endorphine freisetzen. Und wer sich auskennt, weiß: Mit Endorphinen im Blut rennt man glücklich immer weiter — als Jogger und als Popstar.